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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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machst!«
    »Klavierstunden geben. In Cosenza.«
    Bei einem jungen Mädchen namens Betty?, dachte ich, was ich nicht zu fragen wagte. Angelo verzog kurz den Mund. Es genügte, um ein Grübchen in seine Wange zu zaubern.
    »Du … du dachtest doch nicht etwa, du findest hier deinen Vater? Oder? Warst du auf der Suche nach Mahren?«
    Ja, so ungefähr traf das zu und jetzt, wo mich jemand danach fragte, ahnte ich, wie naiv und gewagt meine Spritztour in die Sila gewesen war.
    »Ich … ich wollte nur schauen, ob … Gib es zu, Angelo, dieses Dorf ist seltsam, irgendetwas stimmt hier nicht!«, verteidigte ich mich. Es war das erste Mal, dass ich ihn mit seinem Namen ansprach, und es fühlte sich gut an. Irgendwie kam ich mir sofort selbstsicherer und erwachsener vor.
    »Ja, hier stimmte wahrhaftig etwas nicht, da hast du wohl recht, und es ist kein Ort, an dem sich eine hübsche junge Frau allein herumtreiben sollte.«
    »Also doch Mahre …«
    »Nein. ’Ndrangheta.«
    ’Ndrangheta. Die kalabrische Mafia, angeblich eine der schlimmsten und brutalsten Mafiaorganisationen weltweit. Angelo sprach sie weicher aus als Gianna, wenn sie sich ungefragt in Mafiagruselgeschichten verlor, doch wie immer fand ich diesen Namen Furcht einflößend. Die ’Ndrangheta war allgegenwärtig, wie ich mittlerweile wusste. Wenn man sie ausrottete, war das, als würde man Kalabrien seine Lebensader zerschneiden, durch die unweigerlich auch ihr Gift floss.
    »Glaub mir, hier gibt es keinen Mahr weit und breit. Die Gefahr ist größer, dass du auf einen Mafioso triffst, der in einem der Häuser seine Waffen bunkert, und dann kann es brenzlig werden. Das gesamte Dorf ist bei einer Razzia ausgehoben worden, die wenigen, die übrig blieben, sind abgewandert. Hast du nicht gesehen, dass die Fensterläden schusssicher gemacht wurden?«
    Doch. Das hatte ich gesehen, aber ich hatte es komplett falsch gedeutet.
    »Und die Mahre haben nichts mit der Mafia zu tun?« So schnell wollte ich meine Theorie nicht verwerfen.
    »Nein. Wir ordnen uns nicht gerne irgendwelchen Organisationen unter, ob kriminell oder nicht. Ein lustiger Gedanke übrigens …« Angelos Mundwinkel bogen sich leicht nach oben, was seinem unterdrückten Lächeln einen verträumten Ausdruck verlieh. Hätte ich einen Fotoapparat dabeigehabt, hätte ich genau jetzt den Auslöser betätigen müssen. »Wie kommst du überhaupt auf die Idee, hier zu suchen, ausgerechnet an diesem Fleck Erde?«
    »Ich … ach, scheiß doch der Hund drauf«, brummelte ich. Nun konnte ich wohl auch meine letzte Hoffnung begraben. »Wäre es nicht möglich, dass hier Mahre leben, die mir irgendetwas sagen oder meinen Vater …« Ich konnte nicht weitersprechen. Meine Gedanken spielten Nachlaufen, ohne dass einer von ihnen gewinnen konnte. Was ich zu sagen versuchte, klang wirklich äußerst abstrus.
    »Wovon sollten sie sich denn ernähren?«, fragte Angelo – eine berechtigte Frage, die mich vollends entmutigte. Selbst wenn hier noch Menschen gelebt hätten: Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ihre Träume besonders nahrhaft gewesen wären. Die Armut in den Bergdörfern war zum Greifen nahe; ich hatte bis zu diesem Sommer nicht gewusst, dass es in Europa überhaupt noch Menschen gab, die sich so fernab der modernen Welt mit dem durchschlugen, was ihnen die Natur zur Verfügung stellte, und nahezu von der Außenwelt abgeschnitten waren. Viel war es nicht, was sie tun konnten, um zu überleben: etwas Viehzucht, mühselig betriebene Landwirtschaft und altes Handwerk, das irgendwann aussterben würde. Ich konnte gut verstehen, dass ganze Dörfer von der Landkarte verschwanden, weil die Bewohner ihr Glück im Norden versuchten.
    »Komm, lass uns hier abhauen, bevor der Rest der Decke einstürzt«, schlug Angelo vor. »Ich kann nicht versprechen, dass ich beim zweiten Mal wieder an der richtigen Stelle stehe, um dich aufzufangen.«
    Es kostete ihn nicht den geringsten Kraftaufwand, die schwere Tür aufzuziehen. Draußen musste ich die Hand vors Gesicht halten, um das grelle Nachmittagslicht abzuschirmen, bis ich mich wieder daran gewöhnt hatte und sehen konnte.
    »Also gibt es hier oben keine Mahre?« Ich konnte nicht lockerlassen. Was sollte ich nur tun, wenn ich nach Hause kam und wieder nichts herausgefunden hatte? Ich wollte nicht, dass die anderen aufgaben und unsere Rückreise planten.
    »Es mag den ein oder anderen Mahr außer mir geben in Süditalien, aber sie schreiben es bestimmt nicht an ihre

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