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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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um diesem Teufelszeug dauerhaft zu widerstehen.
    Er reagierte nicht mehr auf mich, sondern schaltete den Projektor ein. Paul und Gianna zogen es vor zu stehen, während ich sitzen blieb und auf die grellweiße Leinwand schaute, deren künstliches Licht meine Augen brennen und tränen ließ. Trotzdem wandte ich sie nicht von ihr ab. Ich rechnete mit Bildern von Angelo, vielleicht auch von Colin, den hatte Paul schließlich ebenfalls loswerden wollen, aber wahrscheinlich war es Angelo, den sie ins Visier genommen hatten. Das war offenbar ihre Form der Pädagogik für schwer erziehbare Kinder wie mich. Sehen statt hören. Ich musste mich beherrschen, um nicht zu kichern. Sie sollten endlich aufgeben und mich in Ruhe lassen. Ständig drückte mir jemand ungefragt eine Kassette ins Ohr, meistens Gianna, und jedes Mal ertönte die gleiche langatmige Leier, ja, im Prinzip waren es immer dieselben hirnrissigen Forderungen und Vorwürfe. Du könntest doch, du solltest nicht, du darfst nicht, du musst aber … Blablabla. Immer war irgendetwas an mir nicht in Ordnung, nicht so, wie sie sich das vorstellten. Ich hatte gar nicht erst angefangen, mit ihnen darüber zu streiten, ich wich ihnen stets elegant aus und tat, was ich tun wollte.
    Ich konnte ihnen auch jetzt ausweichen, doch dieses kleine cineastische Vergnügen sollte ich ihnen gönnen, damit sie anschließend endlich Ruhe gaben. Ich freute mich sogar darauf, Angelo zu sehen, es war nicht verkehrt, Filmmaterial von ihm zu besitzen, gerne auch von Colin, dann konnte ich es mir aufheben und ansehen, wann immer ich Lust dazu hatte … wenn nur das Weiß der Leinwand in meinen Augen nicht so wehgetan hätte …
    Nun begann der Film zu laufen, kein Super 8, sondern ein ganz normales modernes Format. Viel zu bunt und zu scharf. Schade, dann waren sie wahrscheinlich gar nicht drauf – oder doch? Diese blauen Augen, das mussten …
    Nein. Es waren meine. Meine Augen! Meine Augen, die funkelnd und strahlend auf den Horizont des Meeres blickten. Na und? Wieso hatten sie das aufgenommen? Warum mich?
    Die Kamera ging auf Distanz und dann in die Totale, ja, da stand ich und schaute aufs Meer, ich verstand nicht, was daran so außergewöhnlich sein sollte. Mein Haar flatterte im Wind, meine Arme ruhten entspannt neben meinem Leib, ich fand sogar, dass ich hübsch aussah, vielleicht schön. Nichts, wofür man sich rechtfertigen oder gar schämen müsste. Warum schauten Gianna und Paul mich so vorwurfsvoll an?
    Nicht ich musste mich schämen. Schämen sollte sich Tillmann. Schämen für diese und all die anderen Aufnahmen. Ich konnte nicht fassen, was ich da sah, immer wieder musste ich blinzeln und brennende Tränen aus meinen Augenwinkeln wischen, weil die Bilder in ihrer flimmernden, farbigen Schärfe meine Hornhaut zu verätzen schienen. Doch die Schmerzen waren nichts im Vergleich zu der Wut, die von Neuem erwachte und sich brüllend in mir erhob, während ich den Film betrachtete.
    Ich, immer wieder ich, unter der Dusche, die Hände in meinem nassen Haar, die Augen geschlossen, ich hockend am Duschbecken neben meiner Schlange (sie hatten nicht das Recht, sie zu filmen, sie und mich in solch privaten Situationen), ich, wie ich abends die Straße auf und ab lief und mit den Kindern und den Bewohnern der Häuser plauderte, ich im Gespräch mit dem Obsthändler (Tillmann hatte uns offensichtlich aus einem Busch heraus gefilmt, denn wehende Zweige störten das Bild), ich auf dem kleinen Balkon, die Füße gegen das Geländer gestützt und Fledermäuse auf meinem Nacken und meinen Armen, ich auf dem Weg zu Angelo.
    Tillmann hatte mich beschattet!
    Ich wollte den Projektor zu Boden stoßen, doch nun zeigte er Angelo und mich im versunkenen Gespräch, Himmel, sah er vollkommen aus, selbst hier auf der toten Materie des Films, wir beide, friedlich beieinander, ein außergewöhnliches Paar. Dann Wechsel zum Strand, wo ich aus dem Wasser schritt und es von mir abperlte, eine stimmungsvolle Aufnahme, ja, aber kein Grund, so lange draufzuhalten, und noch viel langatmiger war die nächste Aufnahme, mein Kopf im Meer, minutenlang, das wollte sich doch niemand anschauen. Hören konnte man nichts außer dem Rauschen des Meeres und dem Brüllen der Zikaden, sie hatten alles andere übertönt, der beste Soundtrack, der für einen solchen Film komponiert werden konnte. Doch was war das? Nein. Nein, das hatte er nicht getan, das durfte er nicht! Er war viel zu nah bei uns gewesen, bei mir, als ich

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