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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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als sonst.
    »Was ist passiert?«
    Ich schüttelte mutlos den Kopf. »Ich weiß es nicht genau. Ich glaube, sie wollen mich erziehen. Sie … sie … ach, sie stehen nicht mehr auf meiner Seite, sie kritteln ständig an mir herum, alles an mir passt ihnen nicht! Und es ist ihnen gleichgültig, dass ich mich wohlfühle, wie ich bin!«, sprudelte es aus mir heraus. »Immerzu hatte meine Umwelt an mir auszusetzen, dass ich zu empfindlich bin, zu schnell heule, zu ängstlich bin, dass ich mir zu viele Gedanken mache. Ich solle mich locker machen, haben sie gesagt, er hat das gesagt, es war sein Lieblingsspruch, locker soll ich mich machen und mich entspannen. Jetzt ist es so und keiner will es! Und es interessiert auch niemanden, wie ich mich dabei fühle! Mir geht es zum ersten Mal in meinem Leben richtig gut, ich mag mich und meinen Körper, ich kann loslassen, ich muss nicht ohne Unterlass grübeln und mich fürchten, und statt dass sie sich wie ich daran erfreuen, wollen sie es ausmerzen …« Ich nahm mein nasses Haar und wrang es mit einer kräftigen Bewegung aus. Sofort begannen die Strähnen sich zu locken und zu drehen. »Warum können sie mir das nicht gönnen? Warum meckert jeder an mir herum? Ich bin doch genau so, wie sie es immer gefordert haben …«
    »Möchtest du wirklich wissen, warum das so ist?«, fragte Angelo. Unsere Hände lagen nebeneinander im Sand, nur wenige Millimeter voneinander entfernt. Gott, wie gerne hätte ich seine zu mir genommen …
    »Ja – weißt du es denn?«
    »Ich denke schon. Ich hatte viel Zeit, die Menschen zu beobachten, und ich sehe so etwas nicht zum ersten Mal. Sie sind von Grund auf neidisch. Vielleicht ist es eine evolutionäre Folge des Überlebenstriebes, vielleicht gönnen sie deshalb den anderen nicht das Gute, weil es sie selbst bedroht, wenn der eine zu viel hat und man selbst zu wenig. Das ist das schlichte, niederträchtige Geheimnis hinter dem Verhalten der anderen: Neid.«
    »Aber es sind meine Freunde«, protestierte ich ohne Nachdruck. Freunde filmten einen nicht heimlich. Freunde freuten sich daran, dass es einem gut ging. Freunde mieden einen nicht wie der Teufel das Weihwasser.
    »Das spielt keine Rolle. Ich weiß, die Menschen tun so, als ob sie ihren Freunden und Familienmitgliedern das Gute gönnen, und das sagen sie auch oft. Ich gönne dir das von ganzem Herzen. Ein beliebter Spruch. Aber ist das ehrlich? Wo genau fühlst du Neid?«
    »Im Herzen«, antwortete ich spontan. Dort hatte er seinen festen Sitz. Wenn meinen Freundinnen früher etwas widerfahren war, was ich mir für mich selbst gewünscht hätte, und waren es nur ein Paar Schuhe, die sie gekauft hatten und die es nun nicht mehr in meiner Größe gab, hatte es im Herzen gezwickt, mal mehr, mal weniger, aber dieses Zwicken konnte zeitweilig beinahe penetranter sein als Liebeskummer. Es hatte mich zutiefst verunsichert und manchmal stundenlang an mir genagt. Und es hatte mir das Gefühl vermittelt, wertlos zu sein.
    »Ja, im Herzen. Ich glaube, das ist die größte Lüge der Menschheit: ›Ich gönne dir das von ganzem Herzen.‹ Dort, wo der Neid haust? Wenn man es wirklich tut, muss man es nicht erst betonen. Sei nachsichtig mit ihnen, denn es ist sicherlich nur eine Folge ihrer eigenen Unsicherheit. Menschen fühlen sich bedroht, wenn jemand in ihrer Nähe seine Mitte gefunden hat und aufrichtig glücklich ist. Denn den meisten von ihnen bleibt das für immer verwehrt. Also fühlen sie sich wohler, wenn sie sich mit fehlerhaften Personen umgeben, die uneins mit sich selbst sind. In ihrer Gegenwart kommen sie sich stärker und selbstsicherer vor.«
    Das, was Angelo sagte, war niederschmetternd und erhellend zugleich. Meine neu gewonnene Selbstsicherheit machte ihnen Angst. Sie wollten die kleine, zweifelnde, unsichere Ellie zurück, damit sie sich besser fühlen konnten.
    »So, wie ich jetzt bin …«, flüsterte ich, durchdrungen von prickelnder Scheu mir selbst gegenüber. »So möchte ich bleiben. Ich habe gelitten, so sehr … Es hat immerzu wehgetan.«
    »Ich weiß. Das ist das, was ich manchmal in deinen Augen zu sehen glaube. Dein Schmerz, deine Wunden. Dir wurde übel mitgespielt, Betty. Du konntest dich kaum davon erholen. Du hast alles Recht der Welt, dich auszuruhen.«
    Er lehnte seinen Kopf an meinen. Das war das Einzige, was wir uns hin und wieder an realer Nähe gestatteten, aber es genügte, um Rührung in mir aufsteigen zu lassen. Ich legte meine Hand um seinen Hals und

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