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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Nacht wehte. Düdeldidüdeididü. Es kam aus unserem Haus. Ich war mir plötzlich sicher, dass es das Telefon in unserem Haus war, obwohl ich viel zu weit weg saß, um das Geräusch exakt zuordnen zu können. Doch das Telefon, das am Ende des Flurs auf einer wackeligen Kommode stand und auf dem wir nur angerufen werden konnten, nicht selbst telefonieren, war eines dieser Geräte, das düdeldidüdeididü machte, und ich sah es sogar vor mir, so deutlich, als könne ich den Hörer abnehmen und mich melden.
    »Das Telefon … hörst du es nicht?«
    »Doch«, murmelte Angelo. Sein Kopf ruhte schwer an meiner Schulter, weil ich mich lang gemacht hatte, um besser hören zu können. »Na und?«
    »Vielleicht sollte ich rangehen. Es klingelt in unserem Haus.«
    »Och, nicht, bleib hier … ist gerade so schön … Warum müsst ihr Menschen immer sofort ans Telefon rennen, wenn es läutet?«
    »Sagt ausgerechnet ein Italiener«, spöttelte ich. Italiener waren telefonsüchtig. Wahrscheinlich schliefen sie sogar mit dem Handy unter dem Kopfkissen, um ja keinen Anruf zu verpassen. Schließlich gab es immer etwas Hochwichtiges mitzuteilen, worauf die Welt nicht warten konnte und schon gar nicht die nahe und ferne Verwandtschaft.
    »Ich bin Kosmopolit und Kosmopoliten müssen nicht ständig telefonieren, das haben sie gar nicht nötig«, protestierte Angelo schwach. Er lächelte beim Sprechen, ich merkte es an der minimalen Verschiebung seiner Wangenknochen an meiner Schulter. Wie gerne hätte ich es gesehen. Ich ließ mich unauffällig nach unten rutschen, bis unsere Köpfe auf einer Höhe waren, doch dieses Mal nicht Stirn an Stirn, sondern Wange an Wange, was ich ungleich schöner fand. Nur Millimeter zwischen unseren Lippen …
    Düdeldidüdeldidü. Da hatte jemand Ausdauer.
    Gereizt fuhr ich hoch. »Langsam nervt es …«
    »Dann hör doch nicht hin.«
    »Kann ich nicht. Vielleicht ist es auch irgendein technischer Fehler und es legt sich erst, wenn ich den Stecker rausziehe.« Immerhin war ein Mahr in der Nähe, auch wenn ich es noch nie erlebt hatte, dass moderne Geräte in Angelos Gegenwart streikten. »Ich lauf schnell rüber, nicht weggehen, bin gleich wieder da, okay?«
    Düdeldidüdeldidü. Ja, ich komme schon, dachte ich entnervt, als ich über den noch warmen Sand hinüber zur Piano dell’Erba sprintete und das Haus in Sichtweite kam. Ausgerechnet jetzt. Einen ungünstigeren Zeitpunkt hatte es kaum geben können; wann immer ich ein Gespräch mit Angelo unterbrach, hatte ich die Befürchtung, etwas Wichtiges zu verpassen, was unabdingbar für meinen weiteren Weg war. Doch meine Neugierde wollte alles wissen – nicht nur das, was Angelo erzählte, sondern auch, wer da mitten in der Nacht in meinem Haus anrief.
    Wie immer war niemand da; vielleicht hatten sie ihre Drohung umgesetzt und waren heimgereist. Mir sollte es recht sein, dann musste ich mir nicht ständig ihr immer gleiches ödes Geplapper anhören.
    Ich nahm die Hintertür, die ich sowieso nicht mehr abschloss, und flitzte durch die Küche in den Flur. Düdeldidüdeldidü.
    Plötzlich zögerte ich. Was, wenn es die anderen waren? Wenn sie mich unter einem Vorwand zu sich lockten, fort von hier? War es nicht leichtsinnig abzunehmen? Es würde genügen, den Stecker herauszuziehen, um dem lästigen Klingeln ein Ende zu setzen. Andererseits würde ich dann nie erfahren, wer versucht hatte, mich zu erreichen. Kurz entschlossen griff ich nach dem Hörer und hob ihn an mein Ohr.
    Ich hatte die Bewegung noch nicht zu Ende ausgeführt, als meine Knie nachgaben und ich meinen Rücken gegen die Wand pressen musste, um nicht auf den Hintern zu fallen. Das Meer schien mir entgegenzubrausen, ein gewalttätiges und dennoch behäbiges Auf und Ab der Wellen. Ich hielt den Hörer ein Stück von meinem Ohr weg, doch das nutzte nicht viel. Das Rauschen brandete direkt in meinen Kopf und setzte sich dort fest. Auf und ab … auf und ab …
    Erlaubte sich da jemand einen Scherz? Oder saß der Anrufer irgendwo am Strand, wie Angelo und ich eben noch, und war versehentlich auf die Tasten seines Handys geraten? Ja, so musste es sein, das war nur Meeresrauschen, mehr nicht.
    Trotzdem blieb ich stehen, mit eingeknickten Knien und dem Rücken an der Wand, und konnte mich nicht überwinden, den Hörer sinken zu lassen. Tobte da nicht auch ein Sturm, im gleichen Rhythmus mit den Wellen? Aber wir hatten keinen Sturm. Was für ein kurioser Zufall, dass sich jemand verwählt hatte, der

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