Dornenkuss
Meter von mir entfernt gewesen, so dicht an ihrem pudrig-silbernen Schimmer hatte ich mich noch nie befunden. Wenn ich sie erreichte, würde ich das Geschwätz nicht mehr hören. Es störte mich in allem, was ich wollte.
Ich wand mich und trat und biss, doch Colins Griff war eine Stahlklammer, aus der es kein Entrinnen gab. Ab und zu schwappte eine Welle über mein Gesicht und ich flehte das Wasser an, mich wieder zu sich zu holen und ihn zu vertreiben, aber es gehorchte mir nicht mehr.
Als wir den Strand erreicht hatten, war es dunkel geworden. Endlich ließ er mich los. Noch im Fallen drehte ich mich um, sprang auf alle viere und wollte zurück in die Brandung schnellen.
»Nein! Nein, Elisabeth, du bleibst hier und hörst mir zu! Hör mir zu!«
Ich konnte ihn nicht sehen, nur erahnen, nicht einmal Funken stoben aus seinen Augen. Seine Gestalt und die Dämmerung waren eins. Ich sprach mit einem Toten.
»Ich möchte aber nicht hier sein. Ich will noch ein bisschen schwimmen. Das kannst du mir nicht verbieten.«
»Du irrst. Das kann ich und das werde ich. Du wirst mir zuhören.«
Meine Beine lagen in der seichten Brandung, die mich beständig zu sich ziehen wollte, sie vermisste mich, aber mein Kopf drückte sich hart und schwer in den kalten, feuchten Sand; Colins Blick, den ich nicht sehen konnte, hielt mich hier, außerstande, mich zu rühren und ihn in sein schwarzes, leeres Gesicht zu schlagen.
»Ich dachte, du hättest den Anstand, es mir wenigstens mitzuteilen, wenn du deine Gefühle einem anderen schenkst, Elisabeth. Aber das hast du nicht. Dir ist alles egal.«
»Ich schenke meine Gefühle keinem anderen«, erwiderte ich frostig »Oh doch, das tust du, unentwegt! Tag und Nacht drehen sich all deine Gedanken und Empfindungen um ihn, nur um ihn, du liegst auf deinem Bett und malst dir in jeder Einzelheit aus, was du mit ihm anstellst, du malst dir Dinge aus, die du mit mir niemals zu verwirklichen wagen würdest …«
»Du hast wieder in meine Träume gesehen!«, schrie ich ihn an. Wenigstens konnte ich das, schreien, laut und dröhnend. »Ich hatte dir das verboten, ich will es nicht, es geht dich nichts an, meine Tagträumereien gehen dich nichts an …«
»Es sind keine Tagträumereien!« Auch er brüllte, ein Grollen aus dem Nichts, all das, was er hier tat und sagte, kam aus dem Nichts. Nicht einmal seinen Schatten konnte ich sehen. Wo war sein Gesicht, wo waren seine Augen? Ich wollte nach ihm greifen, um ihm wehzutun, doch er wich mir aus. »Es ist Besessenheit, pure Besessenheit, du bist besessen davon, dich von ihm nehmen zu lassen, in deinen Fantasien hast du mich schon unzählige Male betrogen, beinahe jede Stunde tust du es, du genießt es …«
»Aber nur in meinen Fantasien! Nicht wirklich! Es ist nur geträumt, nichts sonst, es sind nur Träume!«
»Nur Träume? Das sagst ausgerechnet du? Nur Träume?« Colin lachte kalt auf. »Es sind Wünsche, Geburten des Tages, nicht der Nacht. Konkrete, bis ins Detail ausgefeilte Wünsche und er kann jeden einzelnen von ihnen sehen. Er wird genau wissen, was er zu tun hat, um dich so zu rauben, dass du es auch noch willkommen heißt! Der beste Sex deines Lebens, nicht wahr?«
»Halt den Mund! Ich bin keine Schlampe! Meine Fantasien gehören mir, du hast darin nichts zu suchen!«, wehrte ich mich erbost. Ich hasste es, hier zu liegen und mich nicht bewegen zu können. Ich wollte ihn beißen, bis er nicht einmal mehr zuckte.
»Ja, ich habe darin nichts zu suchen, das weiß ich auch und ich weiß ebenso, dass ich dich verliere und nichts daran ändern kann, aber es geht hier nicht allein um mich, Ellie, dein Kopf ist so voll von diesen Fantasien, dass …«
Ich ließ auch ihn reden. Leere, sinnlose Worte aus der Dunkelheit, während er mich fort vom Meer trug und erneut mit seinen unsichtbaren Blicken auf den Sand fesselte. Ich verachtete ihn dafür. Ich hatte ihn niemals betrügen wollen, das war nicht meine Absicht gewesen. Es hatte nichts mit ihm zu tun! Aber ich brauchte und liebte meine Träume. Sie waren nicht für Angelo gedacht, sondern für mich. Ich wollte mich mein Leben lang in ihnen einlullen; es war schändlich und gemein, sie sich anzuschauen und sie mir auch noch vorzuwerfen. Er zog sie in den Schmutz, damit ich mir vorkam wie eine Hure, die nur noch aus Wollust und blindem Begehren bestand. Er wollte, dass ich mich für sie schämte.
»Du hörst mir nicht zu! Verflucht, warum hörst du mir nicht zu?«
Nun war sein Gesicht
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