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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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bemerkt, als ich mit meinen Fingerspitzen über ihre glatten Schuppen gestrichen hatte, und das werdende Leben darunter pulsieren gespürt. Sie würde Junge gebären, in einigen Tagen, vielleicht sogar schon heute Nacht. Ich musste sie schützen.
    »Können wir zu dir gehen? Ich fühle mich hier nicht wohl«, bat ich Angelo, der mir gefolgt war, sich gegen den Kühlschrank lehnte und mich fragend ansah.
    »Du Träumerchen«, entgegnete er lächelnd. »Was hab ich dir vorhin gesagt?«
    Statt einer Antwort seufzte ich, als ich mich daran erinnerte. Er hatte gesagt, dass er noch während der Nacht aufbrechen müsse. Erst die Jagd, dann der Job, eine mehrtägige süditalienische Feier, bei der er Klavier spielen musste. Und wieder würde sich mein Zeitfenster verkleinern. Ich verabscheute dieses Wort plötzlich. Es war so deutsch. Zeitfenster. Es vermittelte mir das Gefühl, zwischen dicken Steinmauern eingesperrt zu sein, und nur ab und zu öffnete sich eine Lücke in der Wand und ich durfte kurz etwas tun, was mir Spaß machte. Meistens aber öffneten sich diese Lücken, damit ich eine Pflicht erledigen konnte. Doch das hier sollte eine Kür werden und keine Pflicht.
    Wieder überlagerte die Schlange für einen winzigen Augenblick meine Gedankengänge. Ihr Maul stand weit offen, bereit zum Angriff. Ich sah ihre Fangzähne blitzen.
    »Lass uns rausgehen«, schlug ich vor. »Im Freien ist es schöner als hier.« Das Haus wollte mich loswerden. Der Gestank nach Pferdemist brachte mich beinahe zum Würgen, ich roch den schimmelnden Küchenschwamm, der seit Tagen im feuchten Becken lag, ich hörte die Termiten durch die Wand kriechen.
    »Ich muss sowieso aufbrechen.«
    Stimmte ja, er musste gehen. Ich hatte es schon wieder vergessen. Ich musste anerkennen, dass Angelo seinen Hunger perfekt beherrschte. Noch nie hatte ich Gier in seinen Augen gesehen oder ein gequältes Rauschen in seiner Brust vernommen. Er begann sich schon dann um seine Nahrung zu kümmern, wenn er noch nicht ausgehungert war. So war es auch jetzt. Ich führte ihn zum Vordereingang; ich wollte nicht an der Schlange vorübergehen müssen.
    »Du kannst gerne in meinem Haus wohnen, während ich weg bin, wenn du willst. Möchtest du?«
    Was für ein verlockendes Angebot. Kein kahles, leeres Ferienhaus mit Pritschen als Betten, sondern ein Anwesen mit Pool und Bibliothek und einem weitläufigen, verwunschenen Garten.
    Ich zuckte schüchtern mit den Schultern. Durfte ich das annehmen?
    »Es wäre ein schöner Gedanke, dich in meinem Bett zu wissen, während ich fort bin.« Ich sah, wie meine Hand sich nach vorne bewegte und den Schlüssel entgegennahm. »Vielleicht kannst du die Blumen gießen; wäre schade drum, wenn alles verwelkt.«
    Seine letzte Bemerkung klang so profan, dass ich lachen musste. Und jetzt? Unser erster richtiger Abschied – wie sollte er aussehen?
    Angelo nahm mir die Entscheidung ab, mit jener ausgeglichenen Selbstverständlichkeit, die ich an ihm bewunderte. Er berührte sanft meine Wange, zu kurz, um dieser Geste eine große Bedeutung beizumessen, aber doch zärtlicher, als es unter Freunden üblich war. Dann drehte er sich um und lief in ausgeruhten, jugendlich-lässigen Schritten die Straße hinab.
    Mit dem Schlüssel in der Hand setzte ich mich auf die Gartenstufen. Noch wollte ich nicht zu seinem Haus, es war zu früh. Ich wollte es erst dann erkunden, wenn er weg war, wenn ich sicher sein konnte, dass er mein Stöbern weder wittern noch bemerken konnte. Denn ich wollte nach Herzenslust darin stöbern. Ich kannte bisher nur den Salon und die Bibliothek und war geradezu versessen darauf, sein Schlafzimmer zu sehen. Und dann wollte ich mich in sein Bett legen und darin träumen. Immerhin, es gab etwas, worauf ich mich freuen konnte, während er weg war.
    Doch der Anruf wollte mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Selbst ein Glas Rotwein konnte mich nicht davon ablenken. Ich drückte die Fäuste gegen meine Schläfen, um jene Weichheit zurückzuerlangen, die mich all die Tage zuvor besänftigt hatte, zart wie ein Wiegenlied. Ich hatte nicht gewusst, wie beglückend es sein konnte, nichts zu denken. So musste sich ein Meditationskünstler fühlen, wenn er das geistige Nirwana fast erreicht hatte. Er reflektierte gerade noch, dass er nichts mehr dachte, bevor alles miteinander verschwamm.
    Aber jetzt, jetzt konnte ich dabei zusehen, wie das Zeitfenster kleiner wurde. Die Wände schoben sich zusammen, die Luke wurde schmaler, das Licht war

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