Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
nur noch ein schmaler Streifen. Ich musste mich beeilen und dazu gehörte, den Anrufer zu vergessen. Also noch ein Glas Rotwein und die Beine auf die Brüstung, Blick in die Silberpappeln und das Schwarz des Nachthimmels.
    »Thira«, ertönte es all meinen Entspannungsversuchen zum Trotze wie ein Echo in meinen Ohren. »Thira. Schnell.« Thira – ein Name? Ein Ort? Ein Geheimnis? Vielleicht sollte ich den Anrufer gar nicht zu verdrängen versuchen. Vielleicht hatte er ja mit alldem zu tun. Wenn ich nur gewusst hätte, warum er mir so bekannt vorgekommen war … Doch ich konnte mich nicht entsinnen, jemals eine solche Stimme gehört zu haben, und ich konnte mir auch keinen Menschen dazu ausmalen. Mein früheres Leben war nur noch ein blasser Schimmer in meinem Gedächtnis, nicht weiter der Rede wert, denn ich hatte mich nur gemartert mit meiner Angst und meinen ewigen Grübeleien. Es war alles nur die Vorstufe gewesen zu dem, was jetzt kam.
    Aber was, wenn er dazugehörte? Was, wenn er darüber entschied, ob ich aufgenommen werden konnte? Was, wenn er mich prüfte? (Oder sie? Es konnte genauso gut eine Sie gewesen sein.)
    Mein Zeitfenster schloss sich, Angelo war einige Tage weg, bald würde er in die Südsee reisen, die Sanduhr lief ab – ich musste dem Anruf Bedeutung schenken. Ich hatte gar keine andere Wahl.
    Stöhnend richtete ich mich auf. Was also bedeutete Thira? Wurde es mit h oder ohne h geschrieben?
    Thira, das konnte ein italienischer Ort sein, vielleicht eines der vielen verlassenen Dörfer. Ich klatschte die flache Hand gegen meine Stirn, als ich merkte, dass ich kaum mehr in der Lage war, klare Gedanken zu fassen. Immer wieder zerstreuten sie sich. Ich musste bei mir bleiben. Wie konnte ich herausfinden, wo Thira lag?
    Erst nach minutenlangem Überlegen kam ich auf die Idee, die Karte zur Hand zu nehmen, ja, die Straßenkarte. Herrgott, wie konnte ich nur so lange brauchen, um darauf zu kommen? Ich hätte sofort Angelo fragen sollen, dann wäre alles einfacher gewesen. Nun war ich auf mich selbst angewiesen.
    Fahrig schüttelte ich die zusammengefaltete Karte, bis sie sich öffnete und dabei beinahe zerriss. Ich breitete sie auf dem Terrassenboden aus, stellte zwei Kerzen daneben und begann zu suchen. Es fiel mir schwer, die Ortsnamen zu entziffern. Es lag nicht an der Schärfe meiner Augen, sondern an dem Schwindelgefühl, das sich hinter ihnen ausbreitete, sobald ich zu lesen versuchte. Ich überforderte sie damit. Es standen zu viele Namen auf der Karte – und gleichzeitig zu wenig. Verlassene, einsame Bergdörfer waren jedoch gar nicht mehr eingezeichnet, höchstens das Ruinensymbol. Thira konnte überall sein. Ich wollte die Karte wieder zusammenfalten und krumpelte sie fluchend in die Ecke, als es nicht klappte. Geholfen hatte sie mir sowieso nicht.
    Sekunden später schreckte ich hoch, weil mir der Schlüssel aus den Händen gerutscht und auf den Boden gefallen war, und zerrte mir gleichzeitig den Nacken. Ich musste eingenickt sein. Ich schüttelte meine Arme aus, um mich wieder zur Besinnung zu bringen. Ein Computer mit Internetzugang wäre die Lösung gewesen, einmal Thira in Google eingeben und schon wüsste ich Bescheid. Aber entsann ich mich überhaupt noch, wie man einen Computer zum Laufen brachte und sich ins Netz einloggte? Ich war mir nicht sicher. Hatte ich denn je einen PC besessen? Wo hatte sich mein Arbeitsplatz befunden? Wie hatte mein Zimmer ausgesehen?
    »Nicht wichtig, Betty Blue«, wies ich mich zurecht. Meine Beine wurden unruhig, sie wollten sich wieder ausstrecken, mein ganzer Körper wollte sich ausstrecken und in jenen Dämmerzustand zurückkehren, den ich ihm während Angelos Jagdzügen Nacht für Nacht geschenkt hatte, irgendwann zwischen Mondaufgang und dem Morgengrauen. Doch damit würde er sich gedulden müssen; das, was ich vorhatte, war wichtiger und würde ihm unendliche Entspannung verheißen.
    Wo suchte man, wenn man etwas herausfinden wollte? Der Computer fiel weg; selbst wenn ich einen gehabt hätte, hätte ich nichts mit ihm anfangen können. Meine Augen hätten sich seinem flimmernden Bildschirm sowieso verweigert. Aber da gab es noch etwas – es gab etwas … Bücher! Meine Güte, das hat aber gedauert, schalt ich mich in einem kurzen klaren Moment. Bücher. Lexika. Enzyklopädien. Es warteten genug davon, und zwar in Angelos Haus, zu dem ich einen Schlüssel hatte.
    Ich machte mich sofort auf den Weg. Meine Muskeln rebellierten gegen die

Weitere Kostenlose Bücher