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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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sich gerade am Meer befand wie ich – allerdings an einem Ort, wo ein Sturm aufgezogen war. Kein Pfeifen und Heulen, sondern ein gleichmäßig getaktetes Brausen. Solch einen Sturm gab es doch gar nicht.
    »Pronto?«, benutzte ich sicherheitshalber jene Floskel, mit der sich die Italiener am Telefon meldeten und die wörtlich übersetzt so viel hieß wie »bereit«. Ja, ich war bereit und wollte, dass der Anrufer schnell machte und mich rasch wieder an den Strand entließ. Dieser Flur war zu eng und stickig. Hier konnte man ja kaum Luft holen. Ach, wie lästig es doch war, immerzu Luft holen zu müssen …
    »Hallo!«, versuchte ich es auf Deutsch, als niemand reagierte. »Wer ist denn da?«
    Ob ich mal den Spruch austesten sollte, den Gianna mir beigebracht hatte? Was willst du, Schwanz? Möglicherweise genügte er, um dem Anrufer das Vergnügen an seinem Streich zu nehmen. Doch er wollte nicht über meine Lippen kommen; irgendetwas in mir warnte mich, dass er völlig unangebracht war.
    Das Rauschen der Brandung nahm kein Ende, es musste ein langer, weiter Strand sein, auf dem die Wellen sich brachen, hohe Wellen, die etliche Sekunden benötigten, um sich aufzubauen und wieder abzuflachen. Oder war es doch ein … ein Atmen? Atmete da jemand? Wieder wollten meine Knie weich werden, doch ich drückte sie unbarmherzig durch, damit sie mich hielten. Sie knackten trocken.
    Nun verstummte das Rauschen, als habe jemand die Wellen angehalten. Ich nahm den Hörer wieder an mein Ohr.
    »Thira«, sagte eine Stimme, der keinerlei Geschlecht zuzuordnen war, es konnte eine tiefe Frauenstimme sein oder aber eine musikalische, sensible Männerstimme – ich vermochte es beim besten Willen nicht, sie zu klassifizieren. Und was nur meinte sie mit Thira? Hier lebte keine Thira.
    »Ich glaube, Sie haben sich verwählt. Ich lege wieder auf, in Ordnung?«
    »Thira«, wiederholte die Stimme. Geschlechtslos, aber uralt. Sie zitterte und bebte nicht und brüchig war sie schon gar nicht. Aber niemals konnte sie einem jungen Menschen gehören. Sie kam mir außerdem bekannt vor, als habe sie schon einmal mit mir gesprochen … Oder bildete ich mir das nur ein?
    »Thira. Schnell.«
    Das Rauschen erhob sich von Neuem, doch dann klickte es in der Leitung und nach einer kurzen Pause dütete das Freizeichen. Der helle Ton war mir so unangenehm, dass ich den Hörer wieder vom Ohr nahm. Aber ich besaß noch nicht die Geistesgegenwart, ihn zurück auf die Gabel zu legen und den Stecker herauszuziehen. Stattdessen stand ich wie versteinert im Flur und sah zu, wie meine Haare knisternd über meine Schulter wanderten und sich eine von der Sonne gebleichte Locke um die Muschel des Hörers schmiegte. Von meinem Nacken glitt das Band, das eben von der Macht meines Schopfes gesprengt worden war, lautlos zu Boden.
    Ich wagte nicht, mich zu rühren. Es war nicht der mysteriöse Anrufer, der mich irritierte, sondern das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Hier war jemand im Haus. Ich war nicht allein.
    »Hey, alles in Ordnung? Ich hab mir Sorgen gemacht.«
    Das Erschrecken blieb im Inneren meines Körpers, gut verborgen unter meinen Rippen, nur ein schnelles Heben und Senken meines Magens. Ich unterdrückte ein Aufkeuchen und drehte mich erst um, als ich meine Mimik wieder im Griff hatte. Er sollte mich weder für ängstlich noch für misstrauisch halten. Natürlich war es Angelo – wer auch hätte es sonst sein sollen?
    »Ja, alles okay. Entweder ein Telefonstreich oder jemand hat sich verwählt, keine Ahnung. Hab ihn nicht verstanden. Klang weit weg.«
    Ich bekam in diesem engen Flur keine Luft mehr. Ich drückte mich geschwind an Angelo vorbei, ging in die Küche und setzte mich auf den Tisch, wo ich betont munter die Beine baumeln ließ. Noch immer verkündeten mir die Signale meines Körpers, dass etwas nicht stimmte, dass Gefahr im Verzug war, aber warum? Was nahm ich wahr?
    Ich wandte meinen Kopf zum Garten, der dunkel und verlassen im Schatten des Hauses lag, und mit einem Mal sah ich, was ich spürte und nicht deuten konnte, eine dünne, lange Silhouette, die sich vor meinem geistigen Auge aufbaute, den Kopf reckte und drohend züngelte. Die Schlange! Es war die Schlange, die mich warnte. Sie fühlte sich in ihrer Ruhe gestört, denn die brauchte sie dringend. Es war nicht ich, die sie erregte, und auch nicht der fremde Anrufer, sondern Angelo. Sie kannte ihn nicht. Er war noch nie hier gewesen.
    Erst gestern hatte ich die Schwellung ihres Leibes

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