Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
was viel angenehmer war. So nahm ich es hin, als das Wesen mir einen Becher an die Lippen hielt und meinen Kopf stützte. Ich trank gierig. Ein strenger Stallgeruch stieg mir in die Nase, doch die Milch selbst schmeckte süß und säuerlich zugleich, was mich im Handumdrehen erfrischte. Ich wollte den Becher selbst nehmen und hielt ihn in beiden Händen wie ein Kind.
    »Langsam«, mahnte es mich. Es war schon zu spät, ich hatte versehentlich beim Trinken geatmet und mich verschluckt, weil ich beides nicht mehr koordinieren konnte. Ich musste es wieder lernen. Ich konnte mich nicht entsinnen, wann ich das letzte Mal Milch getrunken hatte. Wann ich überhaupt etwas getrunken hatte …
    Das Essen wurde noch schwieriger. Trotzdem riss ich große Stücke von dem trockenen Weißbrot, das das Wesen mir reichte, und stopfte sie mir in den Mund, bevor ich hustend und keuchend kaute und mit jedem Bissen fähiger wurde, Überlegungen zu formen und zu Ende zu denken. Auch meine Lider wurden unruhig; meine Augen hatten genug von der Schwärze in meinem Inneren.
    Ich hielt inne, das Brot fest in meiner rechten Hand, und nahm mir vor zu fragen, wie lange ich geschlafen habe. Meine Stimme war so belegt, dass ich mich erst räuspern musste, und nachdem ich das getan hatte, fühlte ich mich doch noch zu hungrig, um zu reden, entschied mich aber, meinen Augen ihr Bedürfnis nach Licht zu erfüllen.
    Blinzelnd sah ich mich um. Ich saß in einer kleinen Höhle, hoch genug, um aufrecht darin stehen zu können, und die Nischen, die in den Stein gehauen worden waren, verrieten mir, dass sich hier einst jemand häuslich eingerichtet hatte; vermutlich hatten auch Möbel in diesem kargen Raum gestanden. Jetzt gab es nur noch blanken Stein, dazu in meinem Rücken das Meer, dessen Wellenspiel sich sogar auf dem dunklen Basalt abzeichnete, und uns zwei Menschen.
    Nein, kein Mensch, verbesserte ich mich sofort. Eine Sache gab es, an der ich keinerlei Zweifel hegte: Es war ein Mahr. Ich wollte ihn wie nebenbei mit meinen Blicken streifen, während ich mich umsah, unauffällig, doch es gelang mir nicht. Ich musste dieses Wesen anblicken, nicht flüchtig, sondern ausführlich und in aller Ruhe. Meine Augen erlaubten mir nichts anderes.
    Mein erster Eindruck bestätigte sich sofort; kein Mann, keine Frau – sondern etwas, von dem ich wusste, dass es existierte, das ich aber bisher nie persönlich gesehen hatte. Ich hatte das Wort »Zwitter« immer als hässlich und abstoßend empfunden und auch jetzt wollte ich es nicht einmal denken. Es war zudem unmöglich zu sagen, was an diesem Wesen weiblich und was männlich war; man konnte alles sowohl dem einen als auch dem anderen Geschlecht zuordnen. Nur eine Sache hätte ich bei allem, was mir lieb war, schwören können: Es besaß nicht das, was Männer als zweites und überaus dominantes Ich in ihrer Hose trugen, sonst hätte ich mich nicht so vertrauensselig in seinen Schoß geschmiegt. Sein Schoß war weiblich.
    Das Kichern stieg in mir auf, als ich an meine vage Überlegung während seines Anrufs dachte – nämlich Giannas Männerabwehrspruch zu zitieren. Ich hatte ihn instinktiv als unpassend empfunden und mir verkniffen, und oh ja, er war unpassend. Ich ließ das Brot fallen und presste die Hand auf meinen Mund, um den aufsteigenden Lachanfall zu unterdrücken, doch es war schon zu spät. Was ich mir hier zusammenreimte, war nicht einmal besonders witzig, das wusste ich, es war platt und obszön, doch meinen Bauch kümmerte das nicht. Mein Zwerchfell begann sich rhythmisch zusammenzuziehen und meine Hand konnte nicht verhindern, dass das Lachen sich seinen Weg bahnte, gnadenlos wie immer, wenn es sich selbstständig machte; nichts konnte sich dann noch dagegenstellen, ich war machtlos.
    Doch das Wesen erfreute sich mit einem stillen, feinen Lächeln an meinem unreifen Heiterkeitsausbruch, als wüsste es ganz genau, worüber ich nachdachte und was ich so komisch an ihm fand. Dabei fand ich es eigentlich gar nicht komisch. Ich fand es sogar schön. Während des Lachens löste sich Schleim in meiner Kehle. Hustend und mit Tränen in den Augen rang ich um Beherrschung. Erst nach Minuten gelang es mir, mich zu mäßigen. Mein Bauch schmerzte so sehr, dass ich mich kurz nach vorne beugen musste. Ausgedehntes Gelächter hatte ich noch nie gut vertragen. Doch das Freihusten hatte es mir möglich gemacht, meine Stimme zu benutzen.
    »Was … wer … wer bist du?«
    Eigentlich verbot mir mein Respekt, das

Weitere Kostenlose Bücher