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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Hoffnung, ein Doppelname würde Eindruck schinden und ihn neugierig machen. Fürchtegott-Sturm klang schließlich Respekt einflößend und wichtig. Aber genau das war mein Glück gewesen – mein pubertärer Versuch, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Nur deshalb hatte Morpheus ahnen können, was geschehen war, und ich konnte mich endlich aus meinem Grischa-Fluch befreien.
    Ich atmete tief durch und richtete mich auf. Es war anders, als ich gedacht hatte, aber es war eine Erklärung. Und ich trug keine Schuld daran; in vielen anderen Dingen hatte ich Schuld auf mich geladen, doch in diesem Punkt nicht. Morpheus gab meine Hände frei.
    »Dann verrate mir noch eines. Wie um Himmels willen telefonierst du? Ich habe in dieser verfluchten Fischerhöhle noch keinen Festnetzanschluss gefunden.«
    Morpheus lachte hell auf, beinahe wie eine Frau, und schlug sich auf den Oberschenkel, eine so normale Geste, dass ich in sein Lachen einstimmen musste.
    »Das Telefonieren ist eine scheußliche Erfindung. Ich hasse sie. Dein Vater hat es mir beigebracht. Er ist ein geduldiger Mensch, aber ich fürchte, ich habe ihn dabei an seine Grenzen gebracht.«
    »Er war ein geduldiger Mensch«, korrigierte ich ihn. Mein Lachen war erstorben. Morpheus strich über meine Wange. Er fühlte sich dabei an wie Papa. Exakt so hatte Papa mich immer berührt, wenn ich traurig war.
    »Er ist. Wer fühlt, kann niemals vergehen. Er ist. Wann immer du glauben wirst, ohne ihn nicht leben zu können, nicht mehr zurechtzukommen, kehrst du in meine Höhle zurück und ich beweise es dir von Neuem.«
    »Okay«, murmelte ich erstickt. »Und das kannst du?«
    »Das kann ich. Er hat mich gebeten, von ihm zu rauben und es aufzubewahren. Für seine Kinder. Damit ich sie sie spüren lasse, sobald sie sie brauchen.«
    »Sie?«
    »Seine Liebe. Er hatte viel davon. Sehr viel.«
    Ich wehrte mich nicht, als er mich in seine Arme nahm. Ich bettete meinen Kopf an seine Schulter, sodass ich seine runden, weichen Brüste an meinen spürte. Es störte mich nicht, stimmte mich nicht einmal verlegen. Morpheus hatte keine Sexualität mehr. Wie hatte Colin mal gesagt? Mit den Jahrzehnten verliert die Sache erheblich an Reiz. Bei Morpheus waren es Jahrtausende.
    »Was soll ich denn jetzt tun?«, fragte ich. »Was kann ich tun?«
    Ich hatte ein Trümmerfeld geschaffen und würde von meinen eigenen Waffen erschossen werden, sobald ich es betrat. Angelo würde meine Entscheidung nicht akzeptieren. Er durfte sie gar nicht erst erfahren.
    Morpheus schob mich ein Stückchen von sich weg, um das Band aus meinem Haar zu lösen und es erneut zu flechten, mit festen, sicheren Bewegungen. Dann drehte er mich zu sich um, bis ich ihn ansehen konnte.
    »Du darfst jetzt keine Pläne fassen, keine Pläne verfolgen und sie auf gar keinen Fall aufschreiben. Pläne sind gefährlich. Er kann deine Gedanken lesen. Aber vermutlich wirst du in seiner Gegenwart gar nicht mehr denken können. Trotzdem: keine Pläne. Sie verraten dich.«
    Ich schüttelte den Kopf. Keine Pläne fassen? Gar keine? Das war immer meine probate Rettung gewesen, mir einen Plan auszudenken, und wenn er noch so albern war. Pläne zu fassen, war mir klug und vernünftig vorgekommen. Doch gerade in der Zeit mit Angelo hatte ich damit begonnen, auf alle Planenden hinabzuschauen, verächtlich und spottend. Ich kannte jetzt die andere Seite.
    »Gestatte dir deine Gefühle, auch wenn sie dich verwirren«, fuhr Morpheus fort. »Höre auf deine Intuition. Nur sie kann dich retten. Und vertraue dabei auf jene, die dich lieben.«
    »Mich liebt niemand mehr«, entgegnete ich steif. Mich konnte man nicht mehr lieben. Ich hatte versagt, in allen Belangen. Wer sollte ihnen vorwerfen, dass sie es nicht mehr taten?
    »Oh doch, du wirst geliebt. Sonst wärest du nicht hier. Nun schlaf, mein Kind, schlaf. Morgen wird dich ein Schiff zurück nach Italien bringen. Jetzt aber musst du schlafen.«
    Noch bevor er sein weißes Gewand über meinen Körper zog, fielen meine Augen trotz meiner tausend unbeantworteten Fragen zu und ich sah Grischa, wie er auf einem Mäuerchen am Rande der Insel saß, salzige Böen in seinem störrischen Haar und schlummernde Katzen zu seinen Füßen, und meinen Brief las, bis die Sonne untergegangen war und die Dunkelheit meine Buchstaben vor seinen Augen verschwimmen ließen.
    Wir gehörten zueinander, ewig dein, ewig mein, ewig unser.
    Doch wir würden uns niemals lieben.

RÜCKFALL
    Das schaffe ich nicht, keine Chance,

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