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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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angetan hatte. Ich wusste zwar nicht genau, worin meine Schuld lag, denn ich hatte ihn nicht betrogen, aber sie war da, ich spürte sie in meinem phlegmatisch schlagenden Herzen, wie einen Dorn, der sich in die Haut geschoben hatte und dort schmerzhaft pulsierte, obwohl man ihn nicht mehr sehen konnte.
    Doch der Schmerz wurde nebensächlicher, je weiter wir auf die offene See hinausfuhren und Santorin hinter uns ließen, und ich verlor jegliches Zeitgefühl, während ich unter der sengenden Sonne vor mich hinschlummerte und hinter meinen geschlossenen Lidern nur beiläufig registrierte, wie nach einem langen, heißen Nachmittag die Nacht hereinzog und schließlich ein neuer Tag dämmerte. Erst am späten Nachmittag, kurz vor der Ankunft im Hafen von Cariati, entsann ich mich für einen winzigen Moment, warum ich hier war, und fuhr mit der flachen Hand über die Bootsplanken, um mir Splitter in die Finger zu jagen, die mich an das erinnern sollten, was ich tun wollte und tun musste: hinauf in die Berge fahren, Colins Höhle suchen, ihm sagen, dass es mir leidtat, nur diesen einen Satz, vielleicht unterstrichen durch eine zärtliche Geste, falls ich ihn noch berühren durfte, falls er mich überhaupt noch ansah. Falls es mich für ihn noch gab.
    Ich war kaum ausgestiegen, als das Boot schon wieder kehrtmachte und auf die offene See hinausfuhr. Nun war ich frei wie ein Vogel, stand ganz oben auf der Abschussliste und deshalb spielte es keine Rolle, ob ich ein Auto stahl oder nicht. Ich tat es einfach. Es war leichter, als ich dachte; ein verrosteter Kleintransporter stand mit laufendem Motor am Pier, während sein Fahrer sich gestikulierend einige Meter weiter mit einer Gruppe Fischer unterhielt. Ich stieg ein, löste die Handbremse, trat das Gaspedal durch und jagte schlingernd und mit quietschenden Reifen aus dem Hafen. Im Rückspiegel sah ich noch, wie der Mann sich umdrehte und mir schreiend zu folgen versuchte, doch ich hatte ihn bereits an der nächsten Straßenecke abgehängt.
    Ich ergriff die erste Möglichkeit, weg vom Meer und hinauf in die Berge zu fahren, obwohl ich nicht wusste, ob es jene Straße war, die Colin genommen hatte – ich wollte nicht verfolgt werden und die Carabinieri auf meine Spur bringen, und je schlechter die Wege befestigt waren, desto weniger würden sie vermuten, dass ich sie entlangfuhr. Ohne jegliche Orientierung fädelte ich mich die engen Haarnadelkurven hinauf; manchmal schaffte ich es noch, den Schlaglöchern und Gesteinsbrocken auszuweichen, manchmal brachten sie den Wagen zum Schleudern und rissen mir das Lenkrad aus den schweißnassen Händen.
    Doch das war nicht die größte Gefahr – die größte Gefahr war der Wald selbst. Zuerst roch ich es, dann sah ich es auch: Er brannte. Nicht lichterloh und auch nicht überall, aber der Qualm wurde immer dichter und abseits der Straße flackerten grellrote Flammen durch das Dickicht, kleine, begrenzte Brandherde, die sich rasant ausbreiten konnten, sobald der Wind auflebte. Sie selbst erzeugten bereits heiße, rußige Böen, deren erstickender Atem die Frontscheibe des Wagens mit einem schmierigen Film überzog und meine Augen biss.
    Nach der nächsten Kurve verlor ich die Kontrolle. Der Wagen wurde durch ein weiteres Schlagloch in die Höhe gewuchtet und kippte röhrend seitwärts, bis das Metall der Karosserie mit einem schrillen Kreischen über den Asphalt schlitterte. Ich hob schützend die Hände vors Gesicht, mehr konnte ich nicht tun. Angst hatte ich keine. Kurz vor dem Abhang kam der Wagen in letzter Sekunde zum Liegen. Hustend trat ich die zerbrochene Frontscheibe ein und kletterte nach draußen; wie durch ein Wunder war ich bis auf eine Beule an meiner Schläfe unverletzt geblieben.
    Noch immer heulte der Motor und die Reifen drehten sich, dazu erhob sich das Singen des Feuers links und rechts neben mir, untermalt von dem finsteren Tosen der Hitze in den Wipfeln der Tannen – ein schauriges Konzert, in das ich rufend einstimmen wollte. Ja, ich würde Colin rufen, das hatte ich mir fest vorgenommen, doch ich musste so sehr husten, dass meine Stimme jedes Mal versagte, wenn ich sie benutzen wollte. Ich schrie stumm, allerhöchstens keuchend und stöhnend.
    Tränen rannen über mein schmutziges Gesicht, als ich in den brennenden Wald hineinstapfte und versuchte, Colin zu orten, obwohl meine Sehnsucht einen anderen Weg wählen wollte, weg von hier, weg von mir selbst und all meinen dunklen, schweren Seelentiefen, hinunter ans

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