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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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ach, was erzähle ich dir das, du kannst doch gar nicht mehr zuhören …«
    »Erinnerst du dich daran, was du zu mir gesagt hast, bevor wir die Drogen nahmen? Dass wir manchmal die gleiche geistige Ebene erreichen?«, versuchte ich es weiter. »Wenn du mitkommst, wirst du spüren, warum ich das tue, und du wirst mich verstehen. Vertrau mir wenigstens darin. Bitte, bitte vertrau mir und komm mit. Bring mich hin. Ich möchte jene bei mir haben, die ich liebe.« Den letzten Satz sprach ich noch klarer und deutlicher aus als die anderen, obwohl ich eigentlich etwas anderes hatte sagen wollen. Ich möchte jene bei mir haben, die mich lieben. Aber das konnte ich nicht sagen. Es gab wahrhaftig niemanden mehr.
    »Die du liebst?«, fragte Tillmann ungläubig. Seine Hände, die eben noch krampfhaft miteinander gerungen hatten, fielen herab. »Du liebst … mich? Mich?«
    »Du hast mich verstanden. Sei da. Übermorgen Nachmittag, wenn die Menschen schlafen und die Hitze am stärksten ist. Nur du allein. Du und ich. Vertrau mir … bitte, vertrau mir.«
    Ich senkte meinen Kopf, die Hände weiterhin gefaltet und auf meinen Knien verharrend, obwohl meine Waden unruhig wurden und ich den Gestank nach vergorener Limonade und Erbrochenem kaum mehr ertragen konnte. Ich wusste nicht, woher all die Worte kamen, die ich ihm sagte. Meinem Kopf entsprangen sie nicht. Mein Kopf war leer.
    »Du hast den Verstand verloren.«
    »Du auch, Tillmann. Wir haben es beide. Bitte sei bei mir, wenn es geschieht. Ich bitte dich darum. Bitte. Du bist mir das schuldig.«
    Ich spürte, dass er mich ansah, minutenlang, und darauf wartete, dass ich seinen Blick erwiderte. Doch ich tat es nicht, denn es würde alles zunichtemachen. Ich hatte nicht das Recht, in seine Augen zu schauen.
    »Ja, vielleicht bin ich das. Ich bin dir etwas schuldig. Ich werde es tun«, sagte er schließlich ermattet. »Und ich hoffe, dass ich es tatsächlich verstehe, wenn es geschieht. Ich hoffe es. Sonst werde ich nie wieder glücklich, nie mehr.«
    »Ich auch nicht. Genau deshalb muss ich es tun.« Ich stand auf, mein Gesicht von ihm abgewandt, warf ihm das letzte Bündel Geld aus meiner Hosentasche vor die Füße, damit er sich versorgen konnte, und drehte mich zur Tür. »Danke.«
    Mehr konnte ich nicht sagen. In mir bildeten sich keine neuen Worte.
    Ich ging hinunter in mein leeres Zimmer, schloss die Läden, legte mich auf mein Bett und begann mich still daran zu freuen, dass der Tag nahte, an dem meine Seele meinen Körper für immer verlassen würde.

BLENDUNG
    Nun war die Zeit gekommen, Abschied zu nehmen. Viel gab es nicht mehr, von dem ich mich lösen musste, nur ein leeres Haus und leere Zimmer, zwischen deren kahlen Wänden sich nichts mehr abspielte. Ohne etwas zu fühlen, sah ich sie mir an und verließ sie mit einem gleichgültigen Schulterzucken.
    Doch als ich durch den Garten schlenderte und mich vor die Duschwanne kniete, beschleunigte mein Herz seinen Rhythmus; harte, stechende Schläge.
    Staunend verharrte ich.
    »Da seid ihr ja«, begrüßte ich sie, ganz leise, um sie nicht zu erschrecken. »Herzlich willkommen in dieser wunderschönen Welt.«
    Ihre Mutter ruhte in einer eleganten Krümmung neben ihnen; bereit, sie jeden Moment zu verteidigen. Sie selbst bildeten ein wuselndes, schimmerndes Knäuel aus sich kringelnden silbergrauen Leibern. Riesige, runde Augen mit starren Pupillen schauten mich an, unschlüssig, ob ich Feind oder Freund war.
    »Freund«, wisperte ich. Auch sie wollte ich bei mir haben. Sie bedeuteten mir etwas. Ich lief zurück ins Haus und durchsuchte die kleine Vorratskammer, bis ich einen alten Pappkarton mit Deckel fand, in dem Tomatenkonserven lagerten. Ich leerte ihn; er hatte genau die richtige Größe. Mit der Schere stach ich Luftlöcher hinein. Ich konnte sie nicht hier zurücklassen, so allein und verletzlich. Das nächste Erdbeben würde sie vernichten.
    Sie wehrten sich nicht, als ich mich wieder neben sie kniete und Mutter und Kinder in den dunklen Karton setzte. Ich pustete sacht über ihre glatten, perfekt gezeichneten Schuppen, bevor ich die Kiste verschloss und zu dem Auto brachte, das Tillmann heute Morgen gemietet hatte. Im Fußraum des Beifahrersitzes war genügend Platz für sie.
    Eines musste noch getan werden, dann würde ich so weit sein. Denn ich verspürte plötzlich die Lust zu morden, nur ein bisschen. Nichts Weltbewegendes. Ich holte den Grillspieß aus der Küche, ging ein letztes Mal in mein Zimmer und legte

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