Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
beiläufig und wählte ein helles, kariertes Hemd. Babyblau. Viel zu schnell streifte er es über. Ich hätte ihn noch so gerne angesehen, seine nackte, seidige Kinderhaut mit meinen Blicken gestreichelt. »Ich hab noch nicht aufgeräumt.«
    »Ich war hier, als es geschah, und hatte Angst bekommen. Deshalb bin ich nicht mehr zurückgekehrt.«
    »Ach, es wird schon nicht einstürzen. Und wenn, es gibt noch viele andere schöne Häuser.«
    Doch, es würde einstürzen, ich wusste es. Und der Gedanke daran brachte die Wehmut in meinem Inneren dazu, sich erneut gegen mein Herz zu drücken und mir die Luft zu nehmen. Bald würde sie vorübergehen, für immer. Bald. Nur noch ein Tag und eine Nacht.
    Ich wollte ihn nicht küssen, als wir uns schweigend verabschiedeten. Ich wollte nur meine Hand auf seine Wange legen, um begreifen zu können, was ich sah, dass er mir schenken wollte, was andere mir niemals geben konnten. Doch ich tat gar nichts.
    Er berührte mit den Fingerspitzen meine Schulter, bevor er in seinen glänzenden roten Alfa Romeo stieg und den Motor anließ. Ich blieb allein zurück, jeder Atemzug eine Qual, die mich meiner Sterblichkeit bewusst werden ließ.
    Und mich daran erinnerte, dass sich etwas verändern musste.
    Es musste sich etwas verändern.
    Ich würde den Tod hinter mich bringen.

VERTRAUENSBEWEIS
    Ich hatte recht gehabt. Sie liebten mich nicht mehr. Sie waren gegangen. Ratlos saß ich auf dem breiten Ehehimmelbett im Schlafzimmer, vollkommen fehl am Platz, und strich über das ordentlich ausgebreitete schneeweiße Laken.
    Die Läden waren geschlossen worden, die Schränke und Schubladen ausgeräumt, der Boden mustergültig gefegt. In der Küche sah es nicht anders aus. Jemand hatte den gammelnden Schwamm in der Spüle entsorgt, den Müll weggeworfen und den Kühlschrank aufgeräumt; nichts schimmelte und verkam mehr, doch die Vorräte waren knapp. Ein paar Gläser Marmelade, Butter, Honig, Saft und Toast; nichts, was schnell verderben konnte. Die Obstschale war leer. Eine dünne schwarze Termitenspur zog sich von der Haustür durch den Flur bis zum Hinterausgang. Finden konnten die Insekten nichts. Sie suchten umsonst.
    Obwohl ich liegen und träumen wollte und dieses Zimmer von nun an meines sein konnte, wagte ich es nicht, mich auf die weiche Matratze sinken zu lassen. Ich stützte mich nur mit der Hand darauf ab, legte den Kopf in den Nacken und schaute nach oben, wo sich der Baldachin über mir ausbreitete, ein helles Segel in der künstlichen Dunkelheit, die dazu geschaffen worden war, die Hitze auszusperren, vor Tagen schon. Sie waren längst fort.
    Aber jetzt war Nacht. Ich öffnete das Fenster, stieß die Läden auf und sah nach draußen in den Garten. Der Pferdemist war entsorgt worden. In der Tränke stand noch Wasser, nicht viel, vielleicht zwei Handbreit hoch. Die Heuraufe war leer, doch im Schuppen konnte ich einen halben Rundballen erkennen. Die Tomaten an der Gartenmauer waren seit Tagen nicht geerntet worden. Einige waren schon auf den Boden gefallen und zerplatzt. Winzige Käferchen wühlten sich durch ihr süßes Fleisch.
    Das hier war Niemandsland, verlassen und verwaist. Ich wollte die Läden wieder schließen, als sich plötzlich ein Geräusch zwischen das Zirpen der Grillen schob – ein Knarren und eine kurze Erschütterung, direkt über mir. Es war noch jemand hier. Einer war geblieben. Ich verließ das Schlafzimmer und schlich nach oben. Meine bloßen Füße verursachten kein Geräusch. Auch die Tür zu dem kleinen Zimmer mit den gekalkten, schrägen Wänden öffnete sich lautlos, als ich sie berührte.
    »Halt! Komm mir bloß nicht zu nahe! Bleib da stehen, ich warne dich!«
    Er hob die Hände, als wolle er das Kreuzzeichen machen. Sie zitterten. Seine mahagonifarbenen Augen waren von einem ungesunden, verzehrenden Feuer erfüllt und ließen seine helle Haut noch blasser wirken, als sie ohnehin schon war. Das Zimmer war zu einer Drogenhöhle verkommen. Schmutzige Wäsche übersäte den Boden, halb leere Flaschen standen herum, es roch säuerlich nach Erbrochenem.
    Tillmann trug lediglich ein ausgeleiertes, fleckiges Trägerhemd und eine Unterhose. Sein Oberkörper war mager geworden, seine Haare sträubten sich verklebt und ungekämmt in alle Himmelsrichtungen. Verkrustetes Blut klebte an seiner Nase.
    »Ich möchte dich um einen Gefallen bitten, Tillmann. Übermorgen, am Nachmittag.«
    »Du willst mich um einen Gefallen bitten?« Seine Stimme, einst so dunkel und

Weitere Kostenlose Bücher