Dornenkuss
aber trotz ihres ständigen Schluchzens bereit, dabei zu sein und sich zu zeigen.
Auch meine Mutter war hier, mit wehendem, lockigem Haar; sie lief nicht, sondern stampfte über den heißen Grund, als würde sie meine Krieger anführen, bereit, ihr Leben für ihre Tochter zu opfern, ohne mit der Wimper zu zucken. An ihrer Seite sah ich Herrn Schütz, dessen Glatze ein fürchterlicher Sonnenbrand zierte und der immer noch vehement zweifelte, obwohl sich tief in ihm schon lange die Gewissheit breitgemacht hatte, dass nichts mehr mit rechten Dingen zuging. Oh nein, und nun entdeckte ich auch Lars, Lars war da!, in einer grausam gemusterten Uncle-Sam-Hose und einem verschwitzten Muskelshirt, gespannt auf das Abenteuer seines Lebens und bewaffnet bis an die Zähne mit Buschmessern und einer blinkenden Machete, die an seinem Ledergürtel baumelte. Endlich durfte er Rambo spielen. Neben ihm lief Dr. Sand, dessen Augen die tiefe Trauer um seine verstorbene Tochter zu verarbeiten begannen und erleichtert waren, etwas zu finden, was sie ablenkte und seinem Dasein eine neue Wendung geben würde.
Sie waren gekommen, weil sie fühlten. Ich konnte sie wieder sehen. Wir fühlten gemeinsam, denn wir alle hatten Schmerzen.
Auch Morpheus war bei mir; er lief ihnen voraus. Er war es, der die Mauern zum Einstürzen gebracht hatte und mich allein damit retten würde.
Nur einer fehlte. Colin.
Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder nach vorn. Angelo war zum Greifen nahe, stand mir gegenüber, wartete und witterte. Etwas irritierte ihn. Ich spürte, wie Tillmann sich von rechts näherte, auch von links näherte sich ein Wesen, ich hörte sein grelles Wiehern und Schnauben, ja, ich hörte es, deutlich und klar, und ich hörte auch das Schlagen einer Gerte auf schweißnassem Fell, das es weitertreiben sollte, durch die Feuer und hin zu mir … zu mir …
Angelos Lächeln gefror zu einer starren Grimasse, als ich meinen Kopf hob und ihn zum ersten Mal richtig anblickte. Offen und ehrlich und verlassen von der Unzahl meiner ewig kindlichen Wünsche. Zischend stieß er die Luft durch seine Zähne.
Ja, er ähnelte der David-Statue. Auch sie besaß tote, viel zu große Augen, die nichts sahen, und grobschlächtige, ungelenke Hände, die von Musik nichts verstanden.
Doch nun war ich David und er war Goliath.
»Weißt du, was mir an dir nicht gefällt, Elisabeth?«, fragte er schneidend in die brausende Stille des lichterloh brennenden Waldes hinein.
»Du glaubst gar nicht, was mir an dir alles nicht gefällt«, erwiderte ich gedämpft, aber so deutlich, dass man mich überall hören konnte. Meine Stimme sang. Doch er zuckte nur grinsend mit dem Kopf; eine spröde, überhebliche Geste der Verachtung.
»Du hast einen Silberblick.« Er hob den Arm, um auf mein Gesicht zu zeigen. Warnend reckte die Schlange ihren Kopf, verborgen unter meinen langen Haaren. »Eines deiner Augen sieht immer ein klein wenig woandershin, heckt immer etwas aus.«
»Wenigstens können sie sehen.«
Ich hob instinktiv meine Arme, weil ich plötzlich an den Moment denken musste, in dem meine Augen damit begonnen hatten zu sehen – zu sehen, wer ich wirklich war und was mein Herz wollte. Ich hatte mich an einen klitschnassen Felsen geklammert, unter mir ein tosender Bach, über mir ein Höllengewitter, während die Pfade meines bisherigen Lebens im Schlamm versanken, und hatte darauf gewartet, dass das Schicksal mir die härtesten Prüfungen meines Lebens schicken würde. Weil ich den Mann liebte, der mich retten und zugleich ins Verderben leiten würde, jenen Mann, der nun zu meiner Linken durch das glimmende Unterholz brach und in seiner Hand einen brennenden Ast hielt, genau wie Tillmann zu meiner Rechten. Meine Ritter waren gekommen.
Ich nahm meine Arme noch ein bisschen höher und spreizte meine Finger. Ich wollte ihre Fackeln haben. Sie mussten sie mir geben.
Nur das knisternde Zischen in der Luft verriet mir, dass sie sie geworfen hatten, beide im selben Augenblick, ohne sich abgestimmt zu haben. Sie wussten nicht, wozu ich sie brauchte. Ich wusste es selbst noch nicht. Ich fühlte nur, dass ich sie haben musste, und mein Wunsch war ihr Befehl. Ich fing die brennenden Äste sicher auf, bewegte sie aber nicht.
Angelo reckte seinen Kopf nach vorne, dann seine Hand, die mich packen und das vollenden wollte, was ich ihm versprochen hatte. Doch die Schlange war schneller. Mit gebleckten Zähnen schnellte sie unter meinen Locken hervor, die lang über meine
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