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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Er zerbrach sofort. Fettige Scherben rieselten auf Tillmanns linke Schulter.
    »Ellie …« Er rückte noch ein Stück weiter weg und sah mich reumütig an. »Ich weiß, dass es nicht in Ordnung war, es tut mir leid. Du glaubst gar nicht, was für Schuldgefühle ich hatte, als dich der Floh gebissen hat und danach das mit Angelo passiert ist … Wenn wir nicht nach Italien gefahren wären, wäre das alles niemals geschehen. Auch deshalb hab ich Drogen genommen. Ich konnte mit dieser Schuld kaum mehr leben. Und so konnte ich auch deine Bitte nicht abschlagen, dich in die Sila zu begleiten. Du hattest nämlich recht. Ich stand in deiner Schuld.«
    Ich schüttelte den Kopf und nahm Tillmanns Wasserflasche, um sie mir an die Stirn zu drücken. Ich brauchte dringend Kühlung, bevor ich noch überkochte. Gleichzeitig war ich insgeheim froh, dass es nicht Papa gewesen war, der Süditalien markiert hatte, auch wenn diese Erkenntnis den Zweck der Karte und den der anderen Kreuze immer noch nicht befriedigend erklärte.
    »Mal abgesehen davon, dass wir wahrscheinlich sowieso irgendwann nach Italien gefahren wären, hast du mich deshalb aus dem Bett geschmissen, als ich zu dir gekrochen kam?«
    »Nein, das war einfach kacke, was du da gemacht hast, Ellie. Ob ich nun vorher einen Fehler begangen hab oder nicht. Aber es stimmt schon, dass ich wegen der Sache mit der Karte so still war und nicht mit dir reden wollte … Ich hatte irgendwie niemals Zweifel, dass wir Tessa erledigen können. Doch als plötzlich die Gefahr bestand, dass wir alle an der Pest erkranken, wurde mir klar, was ich damit angerichtet hab. Trotzdem, du hättest nicht zu mir ins Bett kommen dürfen.«
    Erst gestern hatte ich mich zum ersten Mal klar und deutlich an jene eine Nacht kurz nach Tessas Tod erinnern können. Durch diese Aktion hatte es in meinen Augen angefangen, zwischen Tillmann und mir zu kriseln, und schon wenige Stunden später war ich Angelo begegnet. Ebenfalls eine perfekte Vorlage für sein Vorhaben, wenn auch ohne sein Zutun.
    »War das denn wirklich so schlimm? Ich wollte dich nicht anmachen, ich schwöre es! Ich hab mich nur absolut allein gefühlt …«
    »Ja, allein«, unterbrach Tillmann mich. »Allein? Denk mal drüber nach, was du sagst, Ellie. Ich hatte gerade die Frau ermordet, die ich geliebt habe – übrigens ein Scheißgefühl, das kannst du glauben –, war mir sicher, dass ich nie wieder eine andere an mich ranlassen kann, und das Erste, was du nach der Quarantäne machst, ist, mit Colin zu schlafen. Du hattest deinen Mahr noch, während ich meinen töten musste, nicht nur für mich, sondern vor allem für euch! Das war nicht fair!« Er war laut geworden, während er sprach. »Und dazu noch diese Schuldgefühle …«
    »Die waren hausgemacht. Und ja, okay, es war nicht fair. Trotzdem könntest du versuchen, mich zu verstehen«, verteidigte ich mich traurig. »Willst du mir zuhören, wenn ich es dir erkläre, oder ist es dir egal?«
    Tillmann machte eine knappe Handbewegung in meine Richtung und bewegte sich aus seiner Deckung heraus mir entgegen. Okay, ich durfte reden.
    »Ich hab euch das nie gesagt, weil ich Angst hatte, dass es dann erst wahr wird, aber … ich hatte dicke Lymphknoten und Fieber. Ich war mir fast sicher, dass ich die Pest kriege. Ich hab Colin angefleht, mich zu verwandeln, falls ich krank werde, aber er hat sich geweigert, weil er behauptete, dass ich der schrecklichste Mahr von allen werden würde, was wohl leider stimmt.« Ich musste eine Pause machen, bevor ich weitersprechen konnte. »Aber damals wusste ich das nicht. Dann, kurz darauf, musste ich entscheiden, ob Tessa die letzte Penizillinspritze kriegt oder ich sie für mich aufhebe, und ich hab sie ihr gegeben, weil ich nicht anders konnte.« Tillmanns Augen wurden groß, als er seinen Kopf hob und der Unmut in ihnen blankem Entsetzen wich. Endlich konnte man das Braun in ihnen wieder sehen.
    »Scheiße«, flüsterte er.
    »Ja, das kann man so sagen. Als ich wusste, dass ich überleben würde, bin ich zu Colin gegangen und richtig, wir haben miteinander geschlafen, aber ich musste ihn wie immer dabei fesseln. Nein, das ist nicht komisch, Tillmann, kein bisschen. Es ist ätzend. Sein Hunger kam so schnell zurück, dass er mich wie ein lästiges Überbleibsel da liegen gelassen hat … und ich … ich …«
    »Du wolltest, dass ich dir das Nachspiel liefere?«, beendete Tillmann meine Ausführungen abschätzig.
    »Nein. Ich wollte nicht allein sein.

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