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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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angenehmer, tiefer Schlaf. Ich bin nicht allein dabei, verstehst du?«
    »Du hast gar keine Angst vor ihm, oder?« Ich dachte bei dieser Frage an Gianna, die seine Nähe nicht mehr hatte kompensieren können und immer hysterischer geworden war, wenn er auftauchte. Auch Paul hatte sich in Colins Gegenwart nie entspannen können.
    »Nö. Colin ist schon krass, vor allem tagsüber. Aber wenn er nachts zu mir kommt, habe ich ihn gern neben mir.«
    Ich beschloss, ein weiteres Mal das Thema zu wechseln, um nicht wieder heulen zu müssen. Eine Frage hatte ich noch, dann würde ich Tillmann allein lassen, denn er sah entkräftet aus. Unsere Aussprache raubte ihm Energie und die brauchte er für andere Dinge.
    »Dein Vater … Wer hat es ihm gesagt? Meine Mutter?«
    »Klar, wer denn sonst? Mein Dad ist nicht blöd. Er hat schon die ganze Zeit gespürt, dass etwas mit dir nicht stimmt, und ich hab es auch. Eigentlich von Anfang an.«
    Ich musste mich wohl oder übel damit abfinden, dass ein aufbauendes Gespräch unter Freunden anders aussah als dieses hier. Tillmann schickte ein Geschoss nach dem anderen durch die dünne Luft. Doch ich hatte es so gewollt.
    »Beispiele, bitte«, forderte ich zickig.
    »Na, zum Beispiel das Verhalten der Spinne. Die hat sich dir gegenüber von Beginn an seltsam verhalten. Nicht erst, als Tessa kam. Ich glaub fast, sie hat auf dich reagiert, nicht auf sie. Keine Ahnung. Schwarze Witwen lassen sich nicht von der Decke fallen, die kriechen. Das war untypisch. Dann die Stabheuschrecke. Die fressen keine Heimchen, das sind Vegetarier! Diese Heuschrecke ist zum Fleischfresser mutiert in deiner Gegenwart, das hat meinen Vater sofort irritiert, aber als er versucht hat, mit dir darüber zu reden, hast du ihn ausgeblendet, warst wie weg … Solche Momente gab es öfter, auch zwischen dir und mir. In denen du kurz weg warst, in einer anderen Welt. Morpheus hat uns erklärt, dass du eine – eine Auserwählte bist, oder?« In Tillmanns fragenden Gesichtsausdruck mischte sich scheuer Respekt. Ich war mir nicht sicher, ob ich diesen Zug an ihm mochte, wenn er mir galt. Respektlos war er mir lieber.
    »Hat er sonst noch etwas erzählt?«
    »Fast nichts. Nur dass es deshalb für Angelo leichter als bei anderen Menschen gewesen wäre, dich zu verwandeln, und dass wir dich deshalb nicht ausgrenzen, sondern nachsichtig sein sollen. Denn es sei eine wertvolle Eigenschaft und keine schlechte, vorausgesetzt, man trifft die richtigen Entscheidungen und hat einen guten Instinkt.« Die richtigen Entscheidungen … Seit Angelos Blendung waren meine Erinnerungen stückweise, aber sehr chaotisch zurückgekehrt und ich wusste inzwischen kaum mehr, welche Entscheidung richtig gewesen war und welche nicht. Dazu würde ich noch eine Weile brauchen. Trotzdem konnte ich das, was Tillmann gesagt hatte, so nicht stehen lassen.
    »Ich will mich nicht entschuldigen und besser machen, als ich bin, aber … ich glaub nicht, dass das mit den Tieren und meinen Ausfällen an mir lag. Ich glaub, es war Angelos Einfluss. Er war nicht erst seit diesem Sommer in meinem Leben, sondern schon lange vorher.«
    »Vorher?« Es war dämmrig im Zimmer geworden, doch ich konnte Tillmanns Augen aufflammen sehen. »Warum vorher?«
    »Ich hab dir doch in Hamburg von Grischa erzählt, diesem Typen aus meiner Schule, den ich so sehr … gemocht habe und von dem ich dauernd träumte, tagsüber und nachts. Angelo hatte ihn unterwandert und mich dadurch auf sich geprägt, sodass ich ihm sofort verfallen war, als ich ihn traf. Angelo hatte mich schon jahrelang beobachtet. Mehr kann und will ich dazu jetzt nicht sagen. Aber es ist keine Ausrede, sondern die Wahrheit.«
    Tillmann akzeptierte mein Bedürfnis, es bei dieser schlichten Erklärung zu belassen, ohne jegliche Gegenwehr. Ich brachte es noch nicht fertig, die Details zu schildern. Vielleicht würde es mir niemals gelingen. Zu viele unterschiedliche Gefühle zankten miteinander, wenn ich darüber nachdachte. Ich musste erst wieder Traumstoff finden, um mich dieser Wahrheit stellen zu können, und ich wusste nicht, woher ich ihn nehmen sollte.
    Die Dunkelheit der beginnenden Nacht wurde dichter und ließ Tillmanns Züge weich und kindlich wirken. Doch das würde er nie wieder sein. Er gähnte ausgiebig, bevor er seinen Kopf auf das Kissen bettete und nachlässig die Decke über seinen Bauch zerrte. Bald würde Colin zu ihm kommen und ich wollte nicht mit ihm konfrontiert werden. Was er mit Tillmann

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