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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Gute glaubt, oder andere zu manipulieren, weil man in Wahrheit ein armes Schwein ist? Ich hab Angelo doch selbst beinahe geglaubt.«
    »Er hat mit euch geredet?«
    Ich konnte Gianna nicht mehr sehen, weil ich in einem Nebel aus Glättungsspray verschwunden war. Doch an dem Ziehen meiner Haare spürte ich, dass sie heftig nickte, während sie mich kämmte.
    »Oh ja, und wie. Seinen ganzen Charme hat er spielen lassen. Wir sollten dir doch ein bisschen Freiheit lassen, er würde auf dich aufpassen, er wolle dir nichts Schlimmes, und ja, er verspreche uns, dich zu bitten, mit uns heimzufahren … Ich war drauf und dran, uns eine Paranoia zu attestieren und ihn als Wiedergutmachung zum Essen einzuladen. Erst als er weg war und ich mit Paul darüber redete, wusste ich, dass ich auf ihn reingefallen war. Und soll ich dir was verraten?« Sie kippte das kleine Fenster, damit wir nicht high wurden vom vielen Spraynebel, der bereits unangenehm in meiner Kehle kratzte. Ich nahm einen Schluck Kaffee, um ihn hinunterzuspülen. Gianna lugte verschwörerisch aus dem abziehenden Dunst heraus.
    »Aber sag’s nicht Paul, ja? Als ich Angelo das erste Mal gesehen habe, wie er da am Piano saß, dachte ich auch kurz, dass es sehr nett sein könnte, ihm ein paar Bettlektionen beizubringen.«
    »Dem muss man nichts mehr beibringen, glaube ich«, holte ich sie auf den unbequemen Boden der Tatsachen zurück. Ich wollte gar nicht wissen, wie vielen jungen Mädchen Angelo schon schöne Augen gemacht hatte.
    »Irrtum. Dem musst du alles noch beibringen. Der hat keine Ahnung von der Liebe …« Gianna seufzte theatralisch. »Weißt du, was mich schließlich stutzig gemacht hat? Sein Klavierspiel, die Art, wie er musizierte. Es hatte nichts Spezielles oder Originelles, keinerlei Eigenständigkeit. Er spielte und sang gut und es ließ mich auch nicht kalt, aber es war verwechselbar, von unzähligen anderen Musikern in winzigen Stücken abgekupfert. Es rührte nicht aus ihm selbst.«
    Tja. Um das festzustellen, war ich anscheinend nicht musikalisch genug gewesen – oder ich hatte es nicht hören wollen. Gianna legte die Kuppe ihres Zeigefingers auf ihre Nasenspitze. Mir fiel auf, dass ihre Nägel angekaut waren. Ich hatte sie wochenlang unter Stress gesetzt, so sehr, dass sie in meiner Gegenwart nicht mehr schlafen konnte. Und nun saß sie bei mir und kämmte meine Haare. Waren wir vielleicht doch noch Freundinnen? Waren wir es die ganze Zeit gewesen und ich hatte es nur nicht gemerkt? Aber irgendwie schien es ihr auch Spaß zu machen, die Situation gemeinsam mit mir zu analysieren. Gerade hatte sie sich wieder in einen neuen Gedanken verbissen, eine Freizeitjournalistin in Hochform.
    »Eines verstehe ich trotzdem nicht ganz …« Sie schaute mich im Spiegel an. Ihre Brauen kräuselten sich, als sie mit dem Finger gegen ihre Nase tippte. »Man kann jemanden nur perfekt manipulieren, wenn man Informationen über ihn hat, wenigstens Einblicke in das Seelenleben und prägende Ereignisse, am besten aus der frühen Jugend oder Kindheit. Ich hatte sie Rolf bereitwillig gegeben, in den ersten Tagen hatten wir nur geredet, sonst nichts, mein ganzes Leben habe ich vor ihm ausgebreitet. Aber du bist eigentlich nicht sonderlich gesprächig, du lässt ja nur unter Zwang was von dir raus. Oder hast du dich ihm gegenüber geöffnet und alles erzählt, was er an Informationen brauchte?«
    »Das musste ich gar nicht.« Nachdem ich Tillmann von der Grischa-Komponente in diesem Spiel berichtet hatte, konnte ich nicht mehr sagen, was mich mehr zum Trudeln brachte: dass ich Angelo fast von der ersten Sekunde an ergeben war oder dass ich mich niemals ernsthaft gefragt hatte, ob er nicht konkrete Beweggründe hatte, mir all diese Dinge über das Mahrdasein zu offenbaren und dabei indirekt sogar Colin schlechtzumachen. Auf jemanden unwiderruflich geprägt zu werden, war die eine Sache und tragisch genug. Aber sich danach freiwillig das eigene Weltbild umschreiben zu lassen, war eine andere Dimension. Trotzdem berichtete ich auch Gianna von dem, was ich auf Santorin herausgefunden hatte. Denn sie hatte es richtig erkannt: Ich war niemand, der von sich aus private Dinge ausplauderte; etwas, was Nicole und Jenny stets an mir kritisiert hatten. Man müsse mir die Würmer einzeln aus der Nase ziehen. Auch Gianna war es so ergangen, als ich von Colin und seinen KZ-Erlebnissen ausgepackt hatte. Sie selbst war das komplette Gegenteil; es schien ihr ein helles Vergnügen zu

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