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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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können.
    Schweigend saßen wir auf der Terrasse und lauschten in all die Geräusche der Dunkelheit hinein – das ständige Zirpen der Grillen, das Knirschen der Fahrradreifen im Sand der Straße, melodische Rufe auf Italienisch, die ich nicht verstand –, bis die Lichter in den anderen Häusern ausgingen und meine Kopfschmerztablette endlich zu wirken begann. Ich war die Letzte, die ins Bett ging, beruhigt von der Gewissheit, dass wir uns seit unserer Ankunft nicht mehr gestritten hatten. Sie waren noch da, bei mir, und ich hätte dieses Haus mit keinen anderen Menschen teilen wollen als mit diesen drei: Paul, Tillmann und Gianna. Wir gehörten zusammen. Es fehlte nur Colin.
    Ohne nach Skorpionen, Termiten oder Schlangen zu sehen, legte ich mich nackt auf das schmale Lager, die Läden geschlossen, die gläsernen Terrassentüren weit geöffnet, und ließ mich von dem beständigen Rauschen der Silberpappeln und des Meeres in einen sanften, heilenden Schlummer wiegen.
    Denn ich war nicht allein. Ich hatte Freunde.

MANIA

HERZENSANGELEGENHEITEN
    »Was weißt du eigentlich genau über Tessa – also, ich meine über ihre Lebensgewohnheiten?«
    Ich schälte erst eine weitere Nektarine und zerteilte sie sorgfältig in mundgerechte Stücke, bevor ich antwortete. Tagelang hatten wir das Thema Tessa umwandert und jetzt schnitt Gianna es ausgerechnet während unseres eher schweigsamen Mittagsrituals an: Wir saßen gemeinsam in der Küche und bereiteten eine große Schüssel macedonia zu; Obstsalat aus dem, was die Gärten Süditaliens so hergaben und der fliegende Händler uns feilbot, der alle zwei Tage unter brachialem Lautsprechergebrüll in unsere staubige Straße raste, um deren Anwohner mit Vitaminen zu versorgen. Italiener liebten Lautsprecher, das war eines der vielen Dinge, die ich seit unserer Ankunft gelernt hatte. Und die Hitze ertrug man am besten, wenn man viel Obst aß.
    Unsere Mittagsmahle bestanden aus Pasta, Gemüse, Fisch und Obstsalat, weil Gianna der Meinung war, wenn wir schon dem Tod entgegenschritten, so sollten wir es wenigstens gesund und wohlgenährt tun. Über unglaubwürdig abgebrühte Bemerkungen hinaus hatten wir es bisher nicht gebracht, wenn wir um das Thema Tessa kreisten, denn eine zündende Idee, wie die kryptische Formel umzusetzen sei, war noch niemandem von uns eingefallen. Und falls doch, war es im Verborgenen geschehen. Obwohl wir wegen Tessa in ihre Heimat gefahren waren, hatten wir sie klammheimlich zum Tabu erklärt. Wie fast alle Tabus war auch dieses hochgradig gefährlich.
    »Ich weiß nicht besonders viel«, gab ich seufzend zu. Mit Schwung ließ ich die Nektarinenstückchen in die große Schüssel fallen. Gianna schüttete etwas Zitronensaft nach, um den Salat anschließend kräftig umzurühren, während ich überlegte, wie ich mein Wissen über Tessa darbieten sollte, ohne Colin dabei zu nahe zu treten. »Über ihre Lebensgewohnheiten weiß ich eigentlich fast gar nichts. Nur über ihre Jagdgewohnheiten. Vielleicht ist das sowieso dasselbe.«
    Meine Begegnungen mit Tessa waren eher einseitiger Natur gewesen. Ich hatte sie gesehen, sie mich aber nicht. Ich fand sie abstoßend und auf eine sehr stupide Weise boshaft. Kaum in Worte zu fassen war ihre grenzenlose Gier, die ihr Handeln vor allem dann bestimmte, wenn sie sich in Colins Nähe befand. Im Paarungsrausch war sie unberechenbar. Ansonsten folgte sie vermutlich den gleichen Gesetzen wie jeder Mahr: tagsüber ruhen, nachts jagen.
    »Vielleicht kann Tillmann mehr darüber sagen«, schlug ich vor, nachdem ich Gianna in wenigen Sätzen meine Theorien dargestellt hatte. Immerhin hatte Tillmann sie anders wahrgenommen als ich. Colin konnten wir nicht zurate ziehen. Er war noch nicht hier.
    »Ja, vielleicht kann er das«, brummte Gianna und hieb eine importierte Banane in Stücke. »Falls Graf Koks sich denn mal herablässt, mit uns zu kommunizieren, und nicht nur zu den Mahlzeiten erscheint.«
    »Hmpf«, machte ich. Wir waren alle nicht sonderlich kommunikativ, weil die Hitze es einem verbot, zu viel zu denken und zu reden, doch Tillmann hielt sich seit unserer Ankunft aus Gesprächen und Unternehmungen raus und machte sein eigenes Ding. Stundenlang hockte er oben in seinem Dachzimmer, brütete über seinen Büchern oder lag auf dem kleinen Balkon im Schatten. Er verließ sein Refugium an manchen Tagen sogar nur, um die Toilette aufzusuchen oder sich auf der Terrasse den Bauch vollzuschlagen. Hin und wieder konnten wir ihn

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