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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Film, der mich hin und wieder emotional überforderte. Ich vermochte es nicht, mich hineinfallen lassen, bevor Colin hier war. Nach unserer Höllenfahrt konnte ich mir ausmalen, was für Strapazen eine solche Reise barg, wenn man einen Pferdeanhänger zog und nicht schneller als Tempo 100 fahren durfte. Wegen Louis musste er wahrscheinlich mehr Zwischenstopps einlegen, als wir es getan hatten.
    Doch so langsam, fand ich, konnte Colin eintrudeln. Nein, um Himmels willen, er durfte es nicht, berichtigte ich mich und versuchte, tief zu atmen, um das flaue Gefühl in meinem Magen zu vertreiben. Wir hatten noch nicht über die Formel gesprochen. Wenn er heute Nachmittag hier eintraf, konnte es sein, dass Tessa unsere Fährte aufnahm und wir nicht die geringste Ahnung hatten, wie wir sie – ich machte eine kleine Pause, bevor ich das Wort in Gedanken formulierte – umbringen sollten.
     
    »Also …«, übernahm ich den schwierigen Anfang, nachdem wir uns nach dem Abwasch um den Terrassentisch versammelt hatten. Die beiden Geckos, die über uns an der Decke hafteten und auf Insekten warteten, leisteten uns wie jeden Abend Gesellschaft. Paul hatte ein paar Windlichter auf die Mauerbrüstung des Geländers gestellt und das Brüllen der Nachmittagszikaden war dem gemäßigteren Singen der nächtlichen Grillen gewichen. Im Garten schwirrten Fledermäuse und Nachtfalter durch die weiche Luft – alles in allem wäre es ein wundervoll romantisches Ambiente gewesen, wenn wir uns nicht einem solch grauenhaften Thema hätten widmen müssen. »Gianna hat mich gefragt, was ich über Tessa weiß. Viel ist es nicht, das hab ich ihr schon gesagt. Tessa lebt irgendwo in Süditalien, möglicherweise Sizilien, ist ständig hungrig, und sobald sie wittert, dass Colin glücklich ist, macht sie sich auf den Weg.«
    »Was bedeutet das – sie macht sich auf den Weg?«, fragte Gianna sachlich nach, doch ihre Finger zitterten. »Sie setzt sich ins Auto? Nimmt den Zug?«
    Ich lachte humorlos auf. »Sie trippelt.«
    »Trippelt?«, echoten Paul und Gianna.
    »Ja, sie trippelt. Sie ist vergangenen Sommer zu Fuß von Italien bis in den Westerwald gelaufen. Es sieht aus, als würde sie eine gerade, exakte Linie vor sich erblicken, der sie folgen muss – wie wenn sie von einem durchsichtigen Faden gezogen würde. Sie ist sehr klein, hat winzige Füße. Sie trippelt. Vermutlich macht sie keine einzige Pause, bis sie am Ziel ist.«
    Gianna zog unbehaglich die Schultern hoch. »Was schätzt du, wie lange sie braucht, bis sie hier ist, sobald sie euer Glück gewittert hat?«
    »Ein paar Stunden?«, mutmaßte ich. »Genau kann ich es nicht sagen, aber ich denke, wenn sie in unmittelbarer Nähe wäre, hätte ich es gemerkt. Oder, Tillmann?«
    Tillmann hob seine Lider. Die ganze Zeit hatte er stumm auf den Tisch gestarrt. Doch seine Augen hatten ihre Glasigkeit von heute Mittag verloren. »Interessiert dich das alles gar nicht?«, setzte ich gereizt hinterher, als er nicht sofort antwortete.
    »Doch, tut es. Ich denke auch nicht, dass sie in nächster Nähe ist. Ich würde es fühlen.« Er presste die Lippen aufeinander und faltete den Bierdeckel, auf den er sein Glas gestellt hatte, so rabiat zusammen, dass die Pappe bröckelte.
    »Seid ihr euch sicher? Ellie, hast du nicht gesagt, du hättest Tiere als Radar benutzt?«
    »Ja, zufällig hat die Witwe Tessas Schwingungen aufgenommen. Stimmt. Ich habe an ihrem Verhalten erkennen können, dass sie kommt. Aber bei François hat das nicht funktioniert.« Bis auf die Tatsache, dass Berta eines Nachts aus ihrem Terrarium verschwunden war – ihr Todesurteil. Ich wusste immer noch nicht, ob ich versehentlich den Deckel nicht richtig verschlossen oder aber François seine teigigen Finger im Spiel gehabt hatte. Ich hatte mir vor unserer Abreise nach Italien überlegt, wieder Tiere zu beobachten, doch bei den Wölfen hatte ich Tessa ohne tierische Hilfsmittel ahnen können. Ich hatte ein Gespür für sie entwickelt. Colin erst recht. Nicht nur sie witterte uns, auch wir witterten sie. Immerhin ein kleiner Vorteil.
    »Aber was war mit den Ratten?«, wandte Gianna ein. »François hatte doch immer Ratten im Schlepptau!«
    »Ich glaube, die Ratten hatten sich an seine Fersen geheftet, weil er sich gerne in seinem Müll aufhielt. Sie witterten die Verwesung in seinem Körper. Ich denke nicht, dass es Sinn macht, wahllos Tiere zu beobachten. Und ich möchte nicht wieder eine Spinne auf meinem Nachttisch stehen haben. Ich

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