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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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wir?«, fragte Gianna, ohne sich umzudrehen. »Was ist mit uns?«
    »Ihr nicht.«
    Aufgebracht schlug Gianna ihre Faust auf die Brüstung. Ein Windlicht fiel auf die Terrakottafliesen und erlosch klirrend. Gianna fluchte auf Italienisch, was sich sehr grob und unanständig anhörte. Wir ließen sie gewähren. Fluchen war besser als Weinen. Sobald Gianna weinte, konnte man nicht mehr vernünftig mit ihr reden. Diese Erfahrung hatte ich schon in Hamburg machen müssen.
    »Zum Thema ›ins Messer laufen lassen‹: Wie machen wir es eigentlich konkret? Pistole? Messer? Gift?« Tillmann sah uns abwartend an. »Irgendwelche Vorschläge?«
    »Keine Pistole!«, rief ich vorschnell, ohne zu wissen, was mich dazu trieb. Meine Gedanken folgten meiner Intuition nur holpernd. »Es macht Lärm und geht zu schnell, um Schmerz auszulösen. Es muss wehtun. Schmerz öffnet die Seele. Gift kannst du vergessen, das wird bei ihr nicht wirken. Sie ist selbst hochgiftig.«
    Gianna setzte sich wieder zu uns an den Tisch, presste sich aber den rechten Handrücken gegen den Mund. In Angstsituationen wurde ihr gerne mal übel. Ich hoffte, dass sie das Abendessen drinbehalten würde und weiter zuhören konnte. Wider Erwarten mischte sie sich sofort wieder in unser Gespräch ein.
    »Eine Pistole könnte ich wahrscheinlich sogar organisieren, aber ehrlich gesagt …«
    »Wo willst du denn eine Pistole organisieren?« Tillmann war baff und auch Paul schaute Gianna an, als würde er zum ersten Mal ihr wahres Gesicht erkennen.
    »Mafia. ’Ndrangheta, die gefährlichste Mafiaorganisation Europas – und direkt vor unserer Nase. Einer von ihnen wohnt da vorne, in dem Haus mit den Eichenholzsäulen im Garten. Willkommen in Kalabrien.«
    »Aha.« Mein Mund wurde trocken. »Ist ja beruhigend.«
    »Ach, keine Sorge, solange wir hier nicht zu Geld kommen wollen, lassen sie uns in Frieden. Doch von ihnen eine Waffe zu leihen, wäre ein willkommener Anlass, uns ein bisschen Schutz anzubieten. Also besser doch keine Pistole. Außerdem glaube ich, dass man das mit dem Schmerz nicht nur wörtlich nehmen sollte. Es ist sicher auch metaphorisch gemeint.«
    »Sicher«, pflichtete ich ihr schwach bei. Ich kam mir vor wie in der Schule. Grundkurs Deutsch. Gedichtinterpretation.
    »Für alle Fälle sollten wir körperlichen Schmerz auslösen und sie zusätzlich mit etwas konfrontieren, was sie seelisch schmerzt.«
    »Tessa schmerzt nichts«, entgegnete ich bitter.
    »Vielleicht doch …«, meinte Tillmann grübelnd. »Vielleicht ist es Schmerz genug, wenn sie mich im letzten Moment doch nicht kriegen kann?«
    »Das macht sie höchstens wütend.« Unsäglich wütend …
    »Und wenn wir irgendwas Schlimmes mit Colin anstellen?«, überlegte Paul. Ja, das würde ihm so passen.
    Ich schüttelte erneut den Kopf. »Schlimmer als das, was er schon erlebt hat? Nein, das ist aussichtslos.«
    Nur Gianna wusste, worauf ich anspielte: Colins Tage im Konzentrationslager. Außerdem war Tessa nicht empfänglich für die Leiden anderer; selbst dort hatte Colin sie rufen müssen, damit sie ihn rettete. Leid kümmerte sie nicht, was sie in Aufruhr versetzte, war das Glück anderer, nicht deren Kummer. »Tessa ist nicht empathiefähig«, fasste ich meine Schlussfolgerungen zusammen. »Wir werden uns auf den körperlichen Schmerz beschränken müssen. Ein Stich ins Herz tut weh, oder, Paul?«
    »Ein Stich ins Herz verlangt vor allem ordentlich Kraft und eine scharfe Klinge. Hat Tessa überhaupt ein Herz? Ich meine, hat sie ein Organ namens Herz? Hat Colin ein Herz?«
    Pauls Wissenschaftlichkeit war sicherlich angebracht, aber seine Frage erschien mir viel zu intim, so intim, dass ich lieber weglaufen als darauf antworten wollte. Doch ich zwang mich, sitzen zu bleiben.
    »Ich höre bei ihm keinen Herzschlag, aber … eine Art Rauschen in seiner Brust, genau dort, wo bei uns das Herz sitzt. Es fühlt sich energetisch an. Deshalb könnte es klappen, wenn man hineinsticht, obwohl …« Obwohl ein Schnitt bei Colin innerhalb kürzester Zeit wieder heilte, ohne eine Narbe zu hinterlassen. Aber es hatte ihm noch niemand die Haut aufgerissen, der ihn liebte, nicht mit dem Wunsch, ihn dabei zu töten. Als ich ihn auf Trischen in die Schulter gebissen hatte, hatte ich ihn nicht töten wollen, sondern auf ewig bei mir halten, in mir spüren, meine Hände über seine Haut wandern lassen, obwohl meine Gedanken einen kleinen Tod starben und mein Körper sich angefühlt hatte, als würde ich mich

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