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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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auflösen. »Wir müssen es einfach probieren«, stotterte ich und hoffte, Gianna, Paul und Tillmann bemerkten die Hitzewellen nicht, die durch meinen Körper schossen und mich einen Moment lang erheblich vom Morden ablenkten. »Ich kann sowieso nicht mehr klar denken.«
    Gianna sah Tillmann bittend an. »Mach keinen Scheiß, Kleiner, okay? Überleg dir das noch einmal in aller Ruhe, und wenn du dich im letzten Moment anders entscheidest, wird dir niemand einen Vorwurf daraus machen. Dann setzen wir uns ins Auto und hauen ab, in Ordnung?«
    »Ja, Mama.« Tillmann grinste sie verächtlich an. Giannas Hand zuckte. Ich konnte sie gut verstehen. Manchmal wollte man ihm einfach nur eine Ohrfeige verpassen, auch wenn das nicht ganz dem Stand moderner Erziehungsmethoden für aufsässige Jugendliche entsprach.
    Wir erklärten unsere Konferenz für abgeschlossen – vorläufig abgeschlossen –, schalteten Pauls iPod an, den er an zwei Boxen gehängt hatte und der uns mit chilligen Klängen versorgte, und warteten schweigend darauf, dass die Dunkelheit uns ein wenig Kühle schenkte.
    Tillmann verzog sich als Erster auf seinen Dachboden, Gianna und Paul folgten kurze Zeit später. Nur ich saß noch bis spät in die Nacht auf der Terrasse, lauschte dem Spiel der Silberpappeln und hoffte, den Motor eines schweren amerikanischen Geländewagens zu hören, der in die Straße einbog und sich dem Haus näherte.
    Doch es blieb still um uns herum.

FREMDENVERKEHR
    Obwohl ich sofort zu mir kam und meine Gedanken klar wurden, als das Motorengeräusch die Stille der Nacht zerriss, blieb ich stocksteif auf meinem verschwitzten Laken liegen. Wirklich still war es hier nie – ab und zu fuhr ein Zug vorbei und sorgte dafür, dass man seine Unterhaltungen abbrechen musste, die Zikaden geigten ohne Unterlass, das Meer rauschte, die Silberpappeln flüsterten im Wind. Doch sobald die Menschen sich schlafen legten und aufhörten, zu reden, singen und rufen, ob des Nachts oder in den brütend heißen Mittagsstunden, empfand ich dieses Land als still.
    Deshalb war ich mir sicher, dass meine Ohren mich nicht trogen. Das Tuckern des Wagens war zu markant, um es für eine Einbildung zu halten. Erneut begannen meine Schläfen zu ziehen und zu klopfen, aber diese Variante konnte ich besser ertragen als die Eisenklammer, die sich heute Nachmittag um meinen Hinterkopf gelegt und mich außer Gefecht gesetzt hatte. Paul hatte mich irgendwann dazu überredet, eine starke Schmerztablette zu nehmen, und danach hatte der Druck auf meinen Schädel ein wenig nachgelassen und war schließlich dem üblichen Pochen in meinen Schläfen gewichen. Ich schob es auf das Wetter. Die Sonne schien zwar jeden Tag unvermindert stark vom meist wolkenlosen Himmel – laut Paolo, unserem Gemüsehändler, hatte es seit März nicht mehr richtig geregnet –, aber die Hitze barg viele Facetten. Heute war fast kein Wellengang zu verzeichnen gewesen, der Wind blies vom Land her und die Luft war schwül geworden. Selbst die hartgesottenen Einheimischen hatten sich unter ihre Sonnenschirme verzogen und die Siesta bis ultimo ausgedehnt. Das provisorische Volleyballfeld am Strand war leer geblieben.
    Ich lauschte in die Nacht hinein, während mein Herz das Blut im stampfenden Rhythmus durch meine Venen und meine Schläfen hämmerte. Nun bog der Wagen in unsere Einfahrt ein, die wir vorsorglich zu jeder Stunde freihielten, und fuhr am Haus vorbei nach hinten in den Garten. Dann hörte ich, wie eine Metalltür entriegelt wurde und schwere Hufe über einen dünnen Holzboden polterten.
    Sie waren da.
    Ich verbot es mir, aufzuspringen und nachzusehen. Das war zu riskant. Ich musste erst prüfen, ob es mich glücklich machen würde – so glücklich, dass wir Tessa anlocken würden, ehe wir uns richtig begrüßt hatten. Auf dem Dachboden über mir quietschten die Federn von Tillmanns Bett, aber es ertönten weder Schritte noch Türklappen. Im Haus blieb es ruhig. Vielleicht wollten die anderen mir alleine die Willkommenszeremonie überlassen. Ich wusste jedoch nicht, wie sie aussehen sollte. Ich konnte nicht einfach fähnchenschwingend und mit Begrüßungsdrinks in den Garten spazieren und Hallo sagen oder ihm gar um den Hals fallen. Das wäre leichtsinnig gewesen.
    Wie gut kenne ich mich eigentlich?, fragte ich mich misstrauisch. Was genau waren das für Gefühle, die mich bewegten – abgesehen von dem Ärger darüber, dass meine Kopfschmerzen immer noch nicht vollständig abgeklungen waren?

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