Dornenliebe
Fachzeitschriften aus und heftet sie in einem Ordner ab, er kommt nur langsam voran. Luna atmet auf, als er sein Mobiltelefon aus der Hosentasche zieht und etwas in die Tastatur tippt. Kurz darauf spricht er, trifft eine Verabredung.
»Ich sehe, du kommst zurecht«, bemerkt er anschließend. »Ich muss jetzt los und bin sicher einige Stunden weg, der Notartermin ist in Kleinmachnow. Sieh bitte davon ab, mich anzurufen, ich muss absolut ungestört sein. Eventuell gehe ich mit dem Kunden anschließend noch essen.«
»Lass dir Zeit.« Luna eilt auf ihn zu, legt ihre Arme um seinen Hals und lächelt ihn an, amüsiert; sonst ist er immer derjenige, der hinter ihr her telefoniert. »Diese Aktion fängt an, mir richtig Spaß zu machen. Soll er nur kommen, der Finanzbeamte.«
»Spaß«, schnaubt Falk kopfschüttelnd und schiebt Luna von sich. »Du hast Ansichten. Wir sehen uns später.«
Mit zügigen Schritten durchmisst er den Flur, lauter als gewöhnlich schlägt er die Wohnungstür hinter sich zu, Luna hört seine Schritte im Treppenhaus verhallen. Als alles still ist, setzt sie sich auf Falks Drehstuhl. Ruhig bleiben, denkt sie, nicht überstürzt handeln, nur nicht. Die Gedanken sortieren, obwohl ihr Herz wummert und ihre Hände zittern. Zum ersten Mal seit langer Zeit hat Falk sie allein gelassen, zum ersten Mal überhaupt in seiner Wohnung. In der Tasche ihrer Jeans spürt sie ihr Handy, das sie nur wenig beruhigt, seit Falk es manipuliert hat, noch immer ist keine Nummer darin gespeichert außer seiner eigenen, noch immer kennt sie ihre eigene neue Rufnummer nicht, kann sie niemandem geben. Falk ist weg. Sie könnte ebenfalls das Haus verlassen, in ihre Wohnung gehen,
könnte untertauchen, die Eltern haben Geld überwiesen, für ein paar Tage in einer Jugendherberge würde es reichen. Sie könnte bei Falk alles durchsuchen, wie er es getan hat, nach Hinweisen stöbern, versuchen, etwas herauszufinden über ihn und Teresa, in Falks früher Vergangenheit wühlen, untersuchen, warum er geworden ist, wie er ist. Kein Mensch wird mit einem krankhaften Kontrollzwang geboren, vielleicht ist ihm etwas zugestoßen, was diese Verlustangst ausgelöst hat, vielleicht gibt es eine Lösung, einen Weg für sie beide.
Ruhig, Luna, sagt sie zu sich selbst. Nichts übereilen, nichts Unüberlegtes tun. Erst das Zimmer. Wenn Falk nach Hause kommt, wird sie ihn damit überraschen, ihm zeigen, wie schön es sein kann. Vielleicht hat Jaron sich geirrt, es kann, es muss ein Unfall gewesen sein, und der hat Falk das Herz gebrochen, seitdem sind seine Gefühle eingekapselt, seitdem verhält er sich rätselhaft. Vielleicht ist es noch nicht zu spät.
Luna steht auf und blickt sich um, viel ist nicht mehr zu tun. Sie legt die Zeitschriften und die Papiere, die Falk zuvor durchgesehen hat, auf einen Stapel und schreibt » erledigt « auf ein Blatt, das sie oben drauflegt; so kann er selbst entscheiden, ob er die Papiere entsorgt oder behält. Auf den Stapel, den er noch nicht angerührt hat, schreibt sie » noch durchsehen «. Zwischen all den Heften und Zeitungen findet sie alte Reklamebeilagen, die können auf jeden Fall weg, Luna klemmt sich einen Stapel davon unter den Arm, findet am Schlüsselbrett neben der Wohnungstür einen Zweitschlüssel zur Wohnung, geht hinunter zur Altpapiertonne und kehrt zurück nach oben, bleibt im Türrahmen stehen, um erneut das Zimmer zu betrachten.
Es ist zu kahl, denkt sie. Hier fehlen Bilder an den Wänden, ein Deckenfluter, der den Raum abends in ein sanftes Licht taucht, Pflanzen, eine farbige Gardine aus Organzastoff,
Kerzen, schöne Steine. Und plötzlich weiß sie, was sie zu tun hat. Luna dreht sich um und läuft zur Garderobe im Flur, schlüpft in ihre Stiefel und ihre warme Jacke, sie wird Falk sagen, dass sie frische Luft brauchte nach den Tagen der Krankheit. Zählt ihr Geld, nimmt ihre Tasche. Bis Falk wiederkommt, ist sie längst zurück.
Mit Bus und U-Bahn fährt sie zur Fußgängerzone in der Wilmersdorfer Straße, hier kennt sie sich bereits ein wenig aus, weil es nicht weit von ihrer Wohnung liegt, einige Sachen hat sie hier schon besorgt. Zuerst kauft sie Dinge, die sich gut transportieren lassen, zu Falks Möbeln im Arbeitszimmer passen blaue und weiße Kerzen, ein Stuhlkissen in Blau- und Grautönen, das perfekt damit harmoniert, dazu besorgt sie das berühmte Poster »Lunchtime atop a skyscraper«, da kann man nichts falsch machen, denkt sie; das Bild finden die meisten Jungs und
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