Dornenschwestern (German Edition)
viel zu aufgeregt, um zu schlafen.
«Was ist passiert?», flüstere ich.
«Ich werde ihn heiraten.»
«Nein!»
«Ja. Mein werter Vater hat es mir gesagt. Wir gehen nach Calais, und der Herzog stößt dort heimlich zu uns.»
«Der König hat es sich anders überlegt?»
«Der König wird es nicht erfahren.»
Ich schnappe nach Luft. «Du wirst doch den Bruder des Königs nicht ohne dessen Erlaubnis heiraten?»
Sie kichert leise, dann schweigen wir.
«Ich bekomme die prächtigsten Kleider», sagt sie. «Und Pelze. Und Juwelen.»
«Und kommt Richard auch?», frage ich. «Denn er glaubt, er soll eine andere heiraten.»
In der Dunkelheit legt sie mir den Arm um die Schulter und zieht mich an sich. «Nein», sagt sie. «Er kommt nicht. Sie werden einen anderen für dich finden. Aber nicht Richard.»
«Ist ja nicht so, als würde ich ihn besonders mögen …»
«Ich weiß. Aber du bist davon ausgegangen, dass du ihn heiratest. Es ist meine Schuld, ich habe dich erst auf die Idee gebracht. Ich hätte nichts sagen sollen.»
«Und da du George heiratest …»
«Ich weiß», erwidert sie freundlich. «Wir hätten mit den Brüdern verheiratet werden sollen. Aber ich werde dich nicht verlassen. Ich frage Vater, ob du bei uns leben kannst, wenn ich Herzogin bin und am Hof lebe. Du kannst mein Kammerfräulein sein.»
«Ich wäre auch gern Herzogin.»
«Ja, aber das geht nicht», antwortet Isabel.
Burg von Calais
11 . Juli 1469
I sabel trägt ein Kleid aus schimmernder weißer Seide mit Ärmeln aus Goldbrokat. Ich gehe hinter ihr, in Weiß und Silber und in ihren Hermelinumhang gewandet. Auf dem Kopf hat sie einen hohen Hennin mit einem weißen Schleier aus kostbarster Spitze, mit dem sie aussieht, als wäre sie einen Meter achtzig groß, eine Göttin, eine Riesin. George, der Bräutigam, ist in dunkles Violett gekleidet, die Farbe der Kaiser. Fast der ganze englische Hof ist zugegen. Wenn der König bisher nichts von der heimlichen Hochzeit gewusst hat, wird er heute Morgen, als er wach wurde, gemerkt haben, dass sein halber Hof fehlt. Seine eigene Mutter, Herzogin Cecily, hat der Hochzeitsgesellschaft in Sandwich zum Abschied gewunken und somit die Pläne ihres meistgeliebten Sohnes George gutgeheißen, obwohl sie denen ihres unfolgsamen Sohnes Edward entgegenstehen.
Richard ist mit seinem Lehrer und einigen Freunden in Warwick Castle zurückgeblieben. Vater hat ihm nicht gesagt, wohin wir fahren, er weiß nicht, dass wir hier Hochzeit feiern. Ob es ihm leidtut, außen vor zu sein? Soll er ruhig das Gefühl haben, eine große Chance verpasst zu haben und zum Narren gehalten worden zu sein. Isabel mag die älteste Neville-Tochter sein und die schönste, diejenige, von der alle sagen, sie sei überaus anmutig und wohlerzogen – doch mein Erbe ist genauso groß wie Isabels, und wahrscheinlich wachse ich noch zu einer Schönheit heran. Dann hat Richard sich die Gelegenheit entgehen lassen, eine schöne, wohlhabende Gemahlin zu heiraten, und eine lumpige spanische Prinzessin ist nicht halb so viel wert wie ich. Ich denke mit einigem Vergnügen daran, dass er es sehr bedauern wird, wenn ich drall und kurvig werde, meine Haare blond wie die der Königin und mein Lächeln genauso geheimnisvoll. Ich werde mit einem reichen Prinzen vermählt sein und die prächtigsten Pelze tragen, und er wird wissen, dass ich für ihn verloren bin, just wie Guinevere.
Hier wird nicht bloß eine Hochzeit gefeiert, hier zelebriert mein Vater seine Macht. Wer mit ansieht, wie der Hof sich hier auf Einladung meines Vaters versammelt und sich – wie vor einem König – tief vor ihm verneigt, wenn er durch die wunderschönen Galerien der Burg von Calais schreitet, in der Festungsstadt, die er über Jahre für England gehalten hat, zweifelt keinen Augenblick daran, dass er eine genauso mächtige Stellung innehat wie der König von England. Ja, vielleicht ist er sogar mächtiger als er. Wenn Edward sich entscheidet, den Rat meines Vaters zu missachten, muss er bedenken, dass viele der Meinung sind, mein Vater sei der geeignetere Mann; gewiss ist er reicher und besitzt die größere Streitmacht. Und jetzt ist der Bruder des Königs hier, dem es verboten ist zu heiraten, und nimmt aus freien Stücken die Hand meiner Schwester in die seine, lächelt sie unwiderstehlich an und besticht mit seinem lässigen Charme. Er bekennt sich zu ihr.
Den ganzen Nachmittag und bis spät in die Nacht wird gefeiert: Ein Gericht nach dem anderen wird aus der
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