Dornenschwestern (German Edition)
Küche gebracht, von unseren Musikern herausposaunt, Fleisch und Früchte, Brot und Süßspeisen, mächtige englische Nachspeisen und französische Delikatessen. Dagegen verblasst das Krönungsfest der Königin. In der großartigen Zurschaustellung seines Reichtums und seiner Macht hat Vater den König von England überflügelt. Mühelos überstrahlt der rivalisierende Hof Edward und seine Gemahlin, die einfache Bürgerin. Mein Vater ist so wohlhabend wie der Herzog von Burgund und noch wohlhabender als der französische König. Isabel sitzt feierlich in der Mitte des hohen Tisches und winkt ein Gericht nach dem anderen hinunter in die Halle an die Tafeln, die geehrt werden müssen. George, stattlich wie ein Prinz, tut Isabel kleine Fleischstücke auf, beugt sich zu ihr, flüstert ihr etwas zu und lächelt zu mir herüber, als wäre auch ich in seiner Obhut. Ich kann nicht anders, als sein Lächeln zu erwidern – George in seinem Hochzeitsanzug hat etwas Aufregendes, er ist so einnehmend und selbstbewusst wie der König.
«Hab keine Angst, Kleine, auch für dich wird es eine prächtige Hochzeit geben», flüstert mein Vater mir zu, als er hinter dem Tisch der Hofdamen vorbeigeht, an dessen Kopfende ich sitze.
«Ich dachte …»
«Ich weiß», unterbricht er mich. «Aber Richard steht mit Leib und Seele hinter seinem Bruder, dem König, er würde niemals etwas gegen Edwards Willen tun. Ich könnte ihn nicht einmal darum bitten. Doch George hier», er schaut zum hohen Tisch, wo George sich an einem weiteren Pokal mit süßem, dunklem Madeirawein genüsslich tut, «George liebt sich mehr als jeden anderen, er wird stets für sich den besten Weg wählen, und abgesehen davon habe ich große Pläne mit ihm.»
Ich warte, falls er dem noch etwas hinzufügen will, doch er tätschelt mir nur die Schulter. «Du musst deine Schwester in ihr Schlafgemach begleiten und sie vorbereiten. Deine Mutter wird dir Bescheid sagen.»
Ich schaue auf zu meiner Mutter, die einen prüfenden Blick auf die Diener wirft und die Gäste beobachtet. Sie nickt mir zu, und ich erhebe mich. Isabel wird plötzlich blass, denn für sie ist das Hochzeitsfest vorüber, jetzt muss sie ihren ehelichen Pflichten nachkommen.
Eine lärmende, fröhliche Parade geleitet George zu dem neuen großen Schlafgemach meiner Schwester. Aufgrund des Respekts vor meiner Mutter gebärden sie sich nicht allzu derb. Doch die Männer aus der Garnison feuern ihn grölend an, und die Hochzeitsgäste werfen ihr Blumen vor die Füße und überschütten sie mit Segenswünschen. Meine Schwester und ihr neuer Gemahl werden von einem Erzbischof, zwanzig Kammerfräulein und fünf Rittern des Hosenbandordens zu Bett gebracht, gehüllt in eine Weihrauchwolke, für die ein halbes Dutzend Priester verantwortlich ist, und unter den lauten Wünschen aller, allen voran meines Vaters. Meine Mutter und ich verlassen als Letzte das Zimmer, und als ich mich noch einmal nach Izzy umblicke, sitzt sie im Bett und sieht sehr bleich aus, als hätte sie Angst. George lehnt sich neben ihr mit einem sehr selbstbewussten und breiten Lächeln in die Kissen zurück, nackt bis zur Taille, die blonden Haare schimmern auf seiner Brust.
Ich zögere. Dies ist die erste Nacht in meinem Leben, in der Isabel und ich nicht das Bett teilen. Ich will nicht allein schlafen, nicht ohne die friedvolle Wärme meiner Schwester an meiner Seite, und ich bezweifle, dass Izzy George – laut und betrunken – als Schlafgenossen will. Izzy sieht mich an, als wollte sie etwas sagen. Meine Mutter registriert ihre stumme Botschaft, legt mir eine Hand auf die Schulter und führt mich aus dem Zimmer.
«Geh nicht, Annie», sagt Izzy leise. Ich blicke mich noch einmal um. Sie zittert vor Angst und streckt eine Hand nach mir aus, als wollte sie mich für einen Augenblick noch zurückhalten. «Annie!», flüstert sie. Ich kann der Furcht in ihrer Stimme nicht widerstehen. Ich will wieder hineingehen, doch meine Mutter packt mich fest am Arm und schließt hinter uns die Tür.
In dieser Nacht schlafe ich allein. Ich wollte keine Magd bei mir haben. Wenn ich nicht mit meiner Schwester zusammen sein kann, will ich überhaupt keinen Schlafgenossen. Ich liege zwischen den kühlen Laken. Mit niemandem kann ich mich flüsternd über den Tag austauschen, niemanden kann ich necken, und keiner piesackt mich. Selbst wenn wir uns gestritten haben wie Hund und Katze, war es doch tröstlich, dass Izzy da war und ich mich mit ihr streiten
Weitere Kostenlose Bücher