Dornentöchter
sich mit Marguerite zu versöhnen, doch ihre Briefe blieben förmlich und zurückhaltend. Wir hörten, dass sie nicht länger mit Mr Parsons zusammenlebte, doch weshalb ihre Beziehung auseinandergegangen war, erfuhren wir nie.
Durch Marguerite schob sich ein neuer Schatten zwischen Maxwell und mich, sosehr er mich immer noch liebte. Vielleicht bildete ich es mir auch nur ein, aber manchmal ertappte ich ihn dabei, wie er mich mit leicht gerunzelter Stirn betrachtete, als grüble er über etwas nach, das ihn nicht losließ.
Sobald Maxwell zurückgekehrt war und wir uns in unserem neuen Leben eingerichtet hatten, begann ich mit dem ersten Entwurf für Die Netzespinnerin . Zuerst war ich vorsichtig und es widerstrebte mir, Maxwell mit einzubeziehen, aus Angst, die Thematik könnte zu viele unglückliche Erinnerungen wecken. Er selbst wollte sich auch gar nicht einbringen, sondern ging lieber seinen neuen Hobbys, Vogelbeobachtung und Gärtnern, nach. Allerdings gab er mir zumindest die Adresse von Pearls Bruder, Benjamin Whistler. Mir war Mr Whistler bei Pearls Beerdigung vor allem deshalb aufgefallen, weil er im Rollstuhl saß und von einer Krankenschwester begleitet wurde. In meinem Schockzustand hatte ich damals jedoch kaum ein Dutzend Worte mit ihm gewechselt. Seine Antwort auf meinen Brief, den ich ihm nun in sein Pflegeheim in Hobart schrieb, gab mir einigen Aufschluss über Pearls ersten Lebensabschnitt. Er bat mich darum, diesen Brief nicht vor dem Tod seiner noch lebenden Schwester, Ruth, zu veröffentlichen, eine Bitte, an die ich mich gehalten habe. Der Brief, den ich hier auf der nächsten Seite einfüge, bot einen faszinierenden Einblick in Pearls Persönlichkeit – besonders für jemanden wie mich, der Pearl nur eine kurze Zeit gekannt hatte, oder für Außenstehende, die sich für das Rätsel Pearl Tatlow, die berühmte Kinderbuchautorin, interessierten.
Nachdem ich Mr Whistlers Zeilen gelesen hatte, bedauerte ich zutiefst, dass ich während meiner kurzen Bekanntschaft mit Pearl nie auf den Gedanken gekommen war, etwas tiefer zu bohren. Welche Ironie, dass gerade ich – mit meinem ausgeprägten Interesse an historischen Ereignissen und den Geschichten, die sich um unsere ältesten Gebäude rankten – so gar keine Neugier an den Tag gelegt hatte, als es um die Vergangenheit meiner Freundin Pearl ging, die ja schließlich aus Fleisch und Blut war. Ja, ich betrachte Pearl als Freundin, auch wenn sie mich mitunter so schlecht behandelte. Wenn man älter wird, legt die Erinnerung einen sanfteren Schleier über alles, was war. Es wird leichter, zu verzeihen. Man erkennt, dass Menschen oft denselben Schmerz teilen. Man wird freundlicher und neigt weniger zu harten Urteilen als in jüngeren Jahren. Diese Art der Weisheit kommt jedoch leider meist zu spät.
Liebe Miss Birdie,
Haben Sie herzlichen Dank für Ihr nettes Schreiben und die Blumen. Ich weiß beides sehr zu schätzen. Es ist tröstlich zu wissen, dass Pearl eine solch liebenswerte und sympathische Freundin wie Sie hatte. Als sie jünger war, hat sie sich mit einigen eher vulgären Gestalten umgeben, daher bin ich erleichtert zu erfahren, dass sie in den Jahren, in denen ich keinen Kontakt mehr zu ihr hatte, gereift ist.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann, Miss Birdie, da ich meiner Schwester nie sehr nahestand. Pearly und ich waren uns schon viele Jahre vor ihrem Tod fremd. Ehrlich gesagt glaube ich, dass sie meine Existenz lieber geleugnet hätte. Pearl legte sich gerne gewisse Allüren zu, etwas, das sie von Dad geerbt hat. Ich habe versucht, sie zu kontaktieren, als sie in Hobart war und ich hörte, dass sie Maxwell heiraten würde, doch sie wollte nichts davon wissen.
Ich habe sie für ihre schriftstellerische Arbeit bewundert und gehört, dass sie angeblich auch ganz gut damit verdient hat. Mein Geschmack war es natürlich nicht, weil es ja Kindergeschichten waren. Wir waren bei uns zu Hause keine großartigen Leser, aber Pearl dachte sich immer schon gerne Geschichten aus. Sie erzählte die wildesten Märchen über ihre Herkunft und ihre Vergangenheit – ich weiß nicht, ob sie Ihnen vielleicht auch irgendetwas vorgemacht hat. Ich persönlich kann nicht mit Leuten, die Dinge erfinden, die nicht wahr sind.
Mein alter Vater war nicht gerade der einfachste Zeitgenosse, aber er war völlig vernarrt in Pearl. Sie war die Jüngste und sie ähnelte Mum, deshalb verwöhnte er sie nach Strich und Faden. Ich
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