Dornentöchter
altmodischen Tänze und schockierte die Anwesenden, indem sie sich mit Teddy davonstahl. Außerdem machte sie sich lautstark über die selbstgenähten und ausgeliehenen Kleider der Frauen vom Ort lustig. An jenem Abend brachte sie einen Großteil der Stadt gegen sich auf, und Maxwell war völlig niedergeschmettert. Ich glaube, sie blieb nicht mal den ganzen Abend, und im Jahr darauf war sie tot.«
Sie betrachtete Sadie von der Seite. »Einen Moment lang dachte ich wirklich, sie wäre zurückgekehrt.« Birdie schüttelte sich. »Als würde ein Geist über mein Grab spazieren – oder, besser noch, auf meinem Grab tanzen. Jedes Jahr frage ich mich, ob ich im nächsten Jahr wohl noch hier sein werde. Man sieht sich die Tänzer an, und nach und nach werden die vertrauten Gesichter weniger. Manchmal sind ihre Knochen einfach zu steif und alt, um noch zu tanzen, manchmal werden sie von uns genommen. Ich erwarte den Tod hinter jeder Ecke, aber Pearl – sie war so jung und schön. Sie konnte sich gewiss nicht vorstellen, dass ihre Zeit auf Erden von solch kurzer Dauer sein würde. Und Teddy genauso wenig. Ich wiederum hätte nie damit gerechnet, dass meine so lange dauern würde. Es ist gut, dass wir unsere Zukunft nicht vorhersehen können.«
Sie erhob sich. »Ah, meine Mitfahrgelegenheit ist eingetroffen. Welch eine Erleichterung! Ich denke, es ist an der Zeit, den Jungen das Tanzen zu überlassen. Ich werde sentimental und klinge schon wie die müde alte Frau, die ich bin.« Sie küsste Sadie auf beide Wangen, wobei Sadie den Hauch eines vertrauten Parfüms wahrnahm. Was war es nur? Sie suchte in ihrem Gedächtnis nach dem Duft, als sie über die Musik hinweg Marias Stimme vernahm.
»Da bist du ja! Ich möchte dir gern einen Freund vorstellen«, verkündete sie mit einem bedeutungsvollen Blick. Sie ignorierte Sadies Protest, nahm sie bei der Hand und führte sie zu einem kleinen Grüppchen hinüber. »Ich bin mir sicher, ihr zwei werdet euch blendend verstehen!«, rief sie. »Sadie, das hier ist mein guter Freund Simon, Rektor der örtlichen Schule.«
Bestürzt blickte Sadie in das mürrische Gesicht von Simon Parish. Maria neben ihr strahlte zufrieden.
»Hallo«, begrüßte er sie und imitierte dann ihre Reaktion von vorhin beim Tanzen: » So schnell sieht man sich wieder!«
Als Sadie und Maria kurze Zeit später auf der zartrosafarbenen Damentoilette im Fifties-Look – von Gracie mit ihrem typischen Hang zur Übertreibung renoviert – ihren Lippenstift auffrischten, seufzte Maria: »Ich versteh das nicht, er ist ein großartiger Kerl. Kannst du ihm nicht wenigstens eine Chance geben?«
»An mir liegt es nicht«, protestierte Sadie. »Er benimmt sich mir gegenüber unhöflich, seit wir uns das erste Mal begegnet sind.«
»So kenne ich Simon aber gar nicht.« Maria schwieg einen Moment lang, während sie ihre Zähne auf Lippenstiftspuren kontrollierte. »Er hatte es nicht leicht die letzten paar Jahre«, meinte sie. »Seine Frau Clare ist nach langem Kampf an Brustkrebs gestorben. Das war hart für Simon und für Liam.«
»Wie schrecklich«, erwiderte Sadie entsetzt. Die Vorstellung, was die kleine Familie durchlitten haben musste, machte sie sofort betroffen, wobei damit Simons Unhöflichkeit trotzdem nicht entschuldigt war.
»Clare war auch eine Freundin von mir«, fuhr Maria fort. »Das war ehrlich gesagt ein ziemlicher Alptraum.« Sie schien Sadie noch etwas anvertrauen zu wollen, wurde jedoch von einer Gruppe hereinkommender Frauen unterbrochen.
Als sie wieder in die Tanzscheune zurückkehrten, lachte Maria plötzlich prustend los. »Sieh dir nur Gracie an.« Sie stupste Sadie an. »Ich hatte mich schon gefragt, wo sie bleibt! Vermutlich hat sie sich noch zurechtgemacht. Hast du so was schon mal gesehen?«
Sadie musste wahrheitsgemäß verneinen.
Gracie glänzte in einem aufwendigen roten Ballkleid, das direkt aus dem Kostümfundus von Vom Winde verweht zu stammen schien. Im Haar trug sie eine große rote Schleife und so viel Schmuck, dass sie nur wie durch ein Wunder überhaupt noch aufrecht gehen konnte, von tanzen ganz zu schweigen. Doch sie tanzte, und zwar mit Gary Karilla, den Kopf mit einem seligen Lächeln in den Nacken gelegt, die Augen vor Verzückung geschlossen. Vermutlich war es gut, dass sie Garys gequälte Miene nicht sehen konnte, während sich die beiden im Walzertakt durch den Saal drehten.
»Sie ist wirklich ganz verrückt nach ihm!« Maria lachte.
Lächelnd beobachtete Sadie,
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