Dornentöchter
Kristie auf sie zugestürmt. Als Sadie hier so neben Gary stand, begann sie auf einmal zu ahnen, wie sich Pearl gefühlt haben musste: das von wütenden Dorfbewohnern umringte verruchte Frauenzimmer.
»Er hat gerade ältere Damen unterhalten. Wahrscheinlich hat ihn die Frisur dazu verführt.« Diesen Seitenhieb konnte sich Sadie nicht verkneifen.
Kristies Augen wurden schmal, und Gary trat rasch einen Schritt vor und nahm sie in die Arme. »Entspann dich, Liebling! Ich bin doch bloß nett zu einer neuen Mitbürgerin, die gerade erst hergezogen ist.«
»Du lernst deine Lektion nie, was? Du eingebildeter Mistkerl!« Simon kam auf Gary zu.
»Simon! Lass dich nicht zu so was herab!«, fuhr Maria ihn an.
Was zum Henker ging hier vor? Sadie war total verwirrt, als würden alle von einem oft geprobten Skript ablesen, das nur sie nicht kannte.
»Mum? Was machst du denn da? Dad will schon seit Ewigkeiten gehen. Du hast doch hier draußen nicht etwa rumgeknutscht, oder?«
»Um Himmels willen, Betty! Lass gut sein. Und mecker mich nicht an. Ich bin schließlich deine Mutter, schon vergessen?«
Das ganze Grüppchen wandte sich nun Sadie zu. Kristie schnappte entsetzt nach Luft. »Gary, wie konntest du nur? Sie ist doch alt !« Woraufhin Gary Sadie eine Entschuldigung zubrummte und seine aufgebrachte Freundin hinter sich herzog.
Sadies Blamage war perfekt. Sie folgte dem abweisenden Rücken ihrer Tochter zum Auto, während Jack und Jackie schweigend hinter ihnen herliefen. Zitternd versuchte Sadie, den Motor zu starten und gleichzeitig Jacks Erstaunen zu ignorieren, als Betty ihm erzählte, was passiert war.
»Hast du was getrunken?«, wollte er wissen. »Vielleicht solltest du nicht mehr fahren. Du flirtest im Dunkeln mit dem hiesigen Zahnarzt? Bist du verrückt geworden? Und das vor Bettys Augen.«
»Ich weiß wirklich nicht, wer von euch beiden schlimmer ist, Betty oder du! Könnt ihr euch bitte mal beruhigen. Betty war nicht da, und ich muss dich außerdem wohl nicht dauernd daran erinnern, dass wir nicht mehr verheiratet sind!«
»Ärger dich nicht über Big Bear«, mischte Jackie sich ein. »Er hat furchtbar schlechte Laune, weil ich ihm gesagt habe, dass seine Aura einen wunderschönen violetten Farbton hat, und das hält er für einen Haufen Müll.«
Big Bear? Sadie und Betty sahen sich in einvernehmlichem Entsetzen an. Ein Klopfen ans Fenster ließ Sadie zusammenfahren. Draußen stand Simon Parish mit ihrem bestickten Schultertuch. »Ich glaube, das gehört Ihnen«, verkündete er in seinem üblichen kühlen Tonfall. Seine Miene schien weicher zu werden, als er ihr gerötetes Gesicht bemerkte. »Noch ein kleiner Tipp, auch wenn ich sicher bin, dass Sie ihn weder wollen noch brauchen: Passen Sie auf, wem Sie in dieser Stadt trauen. Nicht alle sind das, was sie zu sein vorgeben.«
»Was für ein netter Mann«, säuselte Jackie, nachdem er weg war. »Und so besorgt. Das klang, als würde das Universum dir durch ihn diese Warnung zukommen lassen. Ich wette, seine Aura hat eine ganz tolle Farbe.«
»Jackie, sei still!«, schimpften Jack und Sadie einstimmig.
KAPITEL 16
Markttag
Am nächsten Morgen wurde Sadie früh vom Brummen eines Rasenmähers geweckt. Verärgert kletterte sie aus dem Bett. Wer mähte samstagmorgens um diese Zeit seinen Rasen? Ein Blick aus dem Fenster zeigte einen Mann, der im Vorgarten des nachbarlichen Backsteinhauses zugange war. Überwacht wurde er von Gracie in knallorangefarbenen Hosen, einem geblümten limettengrünen Top und einem Sonnenhut in Orange. Wie viele Häuser besaß Gracie eigentlich?, fragte sich Sadie. Gehörte das hier etwa auch dazu? Als spürte sie Sadies prüfenden Blick, hob Gracie den Kopf und sah zu ihr hinauf.
Dann drehte sie sich abrupt weg und setzte die Sonnenbrille auf, woraufhin Sadie die Spitzengardine sinken ließ. Es tat ihr leid, dass sie ihre Freundin verletzt hatte, indem sie mit Gary flirtete – aber Gracie würde sicher irgendwann darüber hinwegkommen. Offensichtlich interessierte sich Gary einfach nicht für sie.
Unter der Dusche dachte Sadie noch einmal über den Tanzabend nach. Pencubitt wirkte zwar wie ein verschlafenes, idyllisches Küstenstädtchen, aber mit all seinen Geheimnissen und Skandalen ähnelte es Peyton Place aus dem Film Glut unter der Asche . Während sie sich die nach Apfel duftende Spülung aus den Haaren wusch, überlegte Sadie, ob sie den Tag damit verbringen sollte, über den Markt zu schlendern und einen
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