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Dornröschens Bestrafung

Dornröschens Bestrafung

Titel: Dornröschens Bestrafung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Roquelaure
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Lippen. Dornröschen presste sich eng an
seinen nackten Körper, seine kräftigen Arme und Beine waren mitlockigem
goldenen Haar bedeckt.- Seine weiche glatte Brust drückte sich gegen ihren Arm
und ihre Hüfte. Sein raues unrasiertes Kinn rieb sich an ihren Wangen. Und dann
berührten seine Lippen die ihren. Dornröschen schloss die Augen vor dem sich
senkenden Nachmittagslicht, das durch das kleine Fenster fiel. Die dumpfen
Geräusche aus dem Dorf, die Stimmen von der Straße, das schallende Gelächter
aus dem Gasthaus unter ihr - all das verschmolz zu einem tiefen Summen, das sie
umhüllte. Noch einmal erstrahlte das Licht, bevor es endgültig versank. Das
kleine Feuer im Kamin glühte, der Hauptmann bedeckte Dornröschen mit seinen
Gliedern und atmete ruhig in tiefem Schlaf.

Tristan im Haus von Nicolas, des Chronisten der
Königin
    Tristan:
    In meiner Not dachte ich an
Dornröschens Worte, selbst als der Auktionator die Gebote ausrief. Meine Augen
waren halb geschlossen, die schreiende Menge ein wirbelnder Strom um mich
herum. Warum sollten wir gehorchen? Wenn wir böse und verdorben waren, wenn wir
schon verurteilt waren, auf diesen Platz der Reue gebracht zu werden, warum
sollten wir uns dann noch irgendjemandem fügen? Dornröschens Fragen hallten wie
ein Echo durch die Schreie und das gewaltige Gebrüll, das die wahre Stimme des
Volkes, war, ohne Ende und stets von neuem aufbrausend. Ich klammerte mich an
das strahlende Bildnis von Dornröschen - ihr kleines ovales Gesicht, ihre
Augen, die glänzten und leuchteten in unbeugsamem Freiheitsdrang -, während ich
ohne Unterlass gepeinigt, geschlagen, herumgedreht und untersucht wurde.
    Mag sein, dass ich in
diesem eigentümlichen inneren Zwiegespräch Zuflucht nahm, weil das hitzige Treiben
der Auktion zu schrecklich war, als dass ich es hätte ertragen können. Ich
stand auf dem Block, so wie mir angedroht worden war. Und von überall her
erschallten die Gebote. Es schien, dass ich alles und doch nichts sah, und in
einem kurzen Moment schrecklicher Reue bemitleidete ich den närrischen Sklaven,
der ich gewesen war - ein Narr, der in einem Schlossgarten von Ungehorsam und
dem Dorf träumte.
    „Verkauft an Nicolas, den
Chronisten der Königin.“
    Dann wurde ich grob die
Stufen herunter geschafft, und der Mann, der mich gekauft hatte, stand vor mir.
Er schien wie eine Insel der Ruhe inmitten des Gedränges; rauhe Hände
klatschten gegen meinen aufgerichteten Schwanz, kniffen mich, zogen an meinen
Locken. Doch der Mann, wie umsponnen von vollkommener Bestimmtheit und innerem
Frieden, hob mein Kinn, unsere Blicke trafen sich, und mit einem sanften,
wohligen Schrecken dachte ich:
    Ja, dies ist mein Gebieter! Vortrefflich .
    Wenn auch nicht der Mann
selbst - sehr kräftig, schlank und von großer Gestalt -, so doch seine ganze
Art. Dornröschens Frage klang in meinen Ohren. Und für einen Moment, so glaube
ich, schloss ich die Augen. Ich wurde durch die Menge geschubst und gestoßen,
Hunderte von Antreibern befahlen mir zu marschieren, meine Knie, mein Kinn zu
heben, den Schwanz emporzuhalten, während hinter mir das laute Bellen des
Auktionators den nächsten Sklaven auf die Plattform rief.
    Brüllendes Getöse umspülte
mich. Ich hatte meinen Herrn nur flüchtig angeschaut, aber in seinem Blick
hatte ich alle Einzelheiten aufs Genaueste erkannt. Er war größer als ich, wenn
auch nur um wenige Zentimeter; sein Gesicht war kantig, und seine wallende
Pracht weißen Haares fiel ihm in dicken Locken auf die Schultern. Er war viel
zu jung für so weißes Haar, fast jungenhaft trotz seiner großen Gestalt und des
eiskalten Blickes aus seinen tiefblauen Augen. Er war viel zu vornehm gekleidet
für das Dorf, aber auf den Balkonen über dem Platz waren noch andere wie er,
und sie saßen an den offenen Fenstern in Stühlen mit hohen Rückenlehnen und wohnten
dem Treiben bei.
    Wohlhabende Kaufleute mit
ihren Frauen - sicher -, und ihn, meinen Herrn, hatten sie Nicolas, den
Chronisten der Königin, gerufen. Er hatte lange Hände, schöne Hände, die mir
mit einer beinahe lässigen Geste bedeuteten, vor ihm herzugeben. Schließlich erreichte
ich das Ende des Platzes, fühlte die letzten Schläge und Kniffe. Ich
marschierte mit flachem keuchendem Atem und fand mich bald in einer leeren
Straße, zu beiden Seiten eingerahmt von kleinen Tavernen, Ställen und
verriegelten Eingängen.
    Ich registrierte erleichtert,
dass alle bei der Versteigerung waren. Und es war ruhig hier.

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