Dornröschens Bestrafung
Frau mit den roten
Röcken sprach, die ich heute Morgen Dornröschen bestrafen sah. Und dann, hoch
an der Wand hinter dem Tresen, erblickte ich Dornröschen. Sie war an die Wand gefesselt,
ihre Hände über dem Kopf, ihr hübsches goldenes Haar fiel über ihre Schultern
herab, ihre Beine waren über ein riesiges Fass gespreizt, auf dem sie saß. Sie
schien zu schlafen, und ihr glänzender, rosiger Mund war halb geöffnet. Und
neben ihr, zu beiden Seiten, befanden sich weitere Sklaven, alle dösten, und
ihre ganze Haltung drückte hilflose Zufriedenheit aus.
Ach, wenn Dornröschen und
ich doch nur für einen Moment allein sein könnten. Könnte ich doch mit ihr
sprechen, ihr erzählen, was ich gelernt hatte, und von den Gefühlen reden, die
in mir gewachsen waren. Doch mein Herr war zurückgekommen und gebot mir
aufzustehen. Bald verließen wir den Platz. Wir kamen an die Westtore des Dorfes
und gingen auf der Straße, die zum Landhaus führte. Er legte seinen Arm um mich
und bot mir den Weinschlauch an. Es war jetzt wunderbar still unter dem hohen
Tempel der Sterne. Nur eine Kutsche rollte an uns vorbei, und das Mondlicht
schien die Welt zu verzaubern.
Eine Schar von zwölf
Prinzessinnen zog die Kutsche sanft voran; sie trugen das hübscheste Geschirr
aus schneeweißem Leder, jeweils drei über Kreuz, und die Kutsche selbst war auf
das Vortrefflichste vergoldet. Zu meiner Verblüffung sah ich meine Herrin Julia
in der Kutsche, neben einem großen Mann, und beide winkten meinem Herrn, als
sie vorbeifuhren.
„Das ist der Bürgermeister
des Dorfes“, erklärte mir mein Herr leise.
Wir bogen ab, bevor wir das
Landhaus erreichten. Aber ich wusste, dass wir uns auf seinem Gut befanden, und
wir gingen durch das Gras unter den Obstbäumen zu den nahen Bergen, die dicht bewaldet
waren. Ich weiß nicht, wie lange wir gingen. Vielleicht eine Stunde. Als wir
uns schließlich an einem steilen Abhang, auf halber Höhe des Berges
niederließen, breitete sich das Tal unter uns aus.
Die Lichtung war gerade
groß genug, dass wir ein kleines Feuer entfachen konnten. Wir setzten uns nieder,
an die Bergseite, die dunklen Bäume schwankten über uns. Mein Herr schürte das
Feuer, bis es gut brannte. Dann legte er sich nieder. Ich setzte mich mit gekreuzten
Beinen auf und schaute zu den Türmen und Dächern des Dorfes. Ich konnte den schimmernden
Glanz des Platzes der öffentlichen Bestrafung sehen.
Der Wein machte mich schläfrig,
und mein Herr streckte sich, die Hände unter seinem Kopf verschränkt, die Augen
weit offen und auf den dunkelblauen, vom Licht des Mondes leuchtenden Himmel
und das funkelnde Schauspiel der Sterne geheftet.
„Niemals zuvor habe ich einen
Sklaven so sehr geliebt wie dich“, sagte er ruhig.
Ich versuchte mich zu
beherrschen. Meinem Herzschlag für einen Augenblick in der Stille zu lauschen.
Aber ich antwortete viel zu schnell:
„Wirst du mich von der
Königin kaufen und mich im Dorf behalten?“
„Weißt du überhaupt, was du
da erbittest?“ fragte er. „Du hast gerade zwei Tage hierausgehaltene“
„Würde es irgendetwas
nützen, wenn ich dich auf meinen Knien anflehen würde, deine Stiefel küsse,
mich dir zu Füßen werfe?“
„Das ist nicht erforderlich.“,
entgegnete er. „Am Ende der Woche werde ich zur Königin gehen, mit meinem
üblichen Bericht über die Geschehnisse im Dorf während des letzten Winters. Ich
weiß so sicher wie ich meinen Namen weiß, dass ich das Angebot unterbreiten
werde, dich zu kaufen. Und ich werde mich außerordentlich dafür einsetzen!“
„Aber Lord Stefan ... „
„Überlass Lord Stefan mir.
Ich werde dir eine Prophezeiung geben über Lord Stefan: jedes Jahr findet in
der Mittsommernacht ein merkwürdiges Ritual statt. All die aus dem Dorf, deren
Wunsches ist, für die folgenden zwölf Monate zum Sklaven gemacht zu werden,
stellen sich vor und bieten sich dar, damit jeder sie begutachten kann. Zelte
werden zu diesem Zweck aufgestellt, und dann werden jene aus dem Dorf
entkleidet und untersucht. Das gleiche findet statt unter den Lords und Ladies
des Schlosses. Niemand weiß mit Sicherheit, wer sich für die Untersuchung
angeboten hat. Doch um Mitternacht der Mittsommernacht werden die Namen derer
bekanntgegeben, die ausgewählt wurden. Sowohl im Schloss wie auch auf der hohen
Plattform auf dem Marktplatz des Dorfes. Es sind nur ganz wenige, natürlich,
von denen, die sich angeboten haben. Nur die Schönsten, die Herrschaftlichsten
im Auftreten, die
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