Dornteufel: Thriller (German Edition)
Stern ausgesucht hatte, war dunkel und die Musik zu laut. Als er mit steifen Beinen den Raum durchquerte, fühlte er sich von allen beobachtet. Sie war noch nicht da, also suchte er einen abseits gelegenen Tisch und bestellte sich einen Kaffee, um richtig wach zu werden. Innerlich fröstelte er. Er hatte zur falschen Zeit geschlafen und vor allem viel zu kurz. Er war noch nicht wieder auf Betriebstemperatur. Das war wohl das, was die Leute Jetlag nannten. Die wenigen Gäste in der Bar sahen durch die Bank dreißig Jahre jünger aus als er, und ihr Jahresgehalt übertraf wahrscheinlich das seinige um mehr als das Doppelte, wie ihre Luxuskleidung und ihr Auftreten erahnen ließ. Es schien Ferland, als habe Rebecca Stern diesen Ort aus purer Bosheit gewählt: Hier in Paris war er der Fremde, und so sollte er sich auch fühlen. Ihre subversive Taktik, ihn zu verunsichern, bestätigte ihn nur darin, dass sie verdächtig war. Sie wusste etwas über den Tod ihrer Schwester, und im Zweifelsfall war sie auch nicht ganz unschuldig daran.
Der Kaffee kam in einer lächerlich kleinen Tasse aus dickem weißem Porzellan. Er war so stark, dass man ihn kauen konnte. Ferland unterdrückte gerade, sich zu schütteln, als Rebecca Stern plötzlich neben ihm stand.
Sie setzte sich ihm gegenüber, ohne Mantel, Hut und Sonnenbrille abzunehmen. Ferland wollte gerade dazu ansetzen, ihr Divengehabe zu kommentieren, doch die Worte blieben unausgesprochen. Ihr Gesicht …
»Ja, ich bin es«, sagte sie; ihren Kopf hielt sie außerhalb des Lichtkegels der kleinen Lampe über dem Tisch. »Schön, Sie wiederzusehen, Detective. Oder soll ich hier lieber Ferland sagen?«
Immer noch konnte er sie nur stumm anstarren. Ihre Haut war fahl und schlaff, kräuselte sich an ihrem Hals wie bei einer Schildkröte.
»Sie sind überrascht? Ich dachte, Sie wüssten es. Ehrlich gesagt, habe ich bis eben gehofft, dass Sie mir sagen können, was los ist.«
Er hob hilflos die Schultern. »Ist es dasselbe Phänomen wie bei Ihrer Schwester? Eine Erbkrankheit?«
»Ich weiß es nicht. Und auch die Ärzte sind ratlos. Bisher hat keine Creme, keine Salbe, keine Therapie irgendwie angeschlagen. Anscheinend ist es unausweichlich, dass ich mich vorzeitig … in eine Greisin verwandele.«
»Ist es nur die Haut, oder …« Er wusste nicht, wie er es ausdrücken sollte.
»Nur die Haut – allerdings die ganze.«
Die wenigen Quadratzentimeter ihrer Haut, die er sehen konnte, waren schon schlimm genug. Im nächsten Moment drehte sie den Kopf zur Seite, weil der Kellner an den Tisch trat.
»Noch einen Kaffee bitte«, sagte Ferland schnell.
»Ob Sie es glauben oder nicht, Sie sind meine letzte Hoffnung«, offenbarte Rebecca, nachdem der Kellner wieder gegangen war. »Ich will wissen, woher das kommt. Was mit Moira passiert ist und was mit mir … Ist das nicht der reinste Hohn? Dass ich nicht weiter nachforschen wollte, als ich bei Ihnen in New York war? Dass Sie mir lästig waren mit Ihren Fragen? Und dass ich Moira habe verbrennen und beerdigen lassen, um es möglichst schnell zu vergessen? Dabei war mir von Anfang an klar, dass da etwas nicht stimmte. Und Sie haben es auch gleich gewusst. Es kommt mir fast so vor, als wäre das hier meine Strafe.«
»Unsinn«, versuchte Ferland sie zu beruhigen. »Reden Sie sich das bloß nicht ein. Übrigens, ich bin Polizist. Ich muss Fragen stellen.«
Sie lächelte schwach. »Dann fragen Sie jetzt. Wie es aussieht, haben wir beide nicht mehr viel Zeit.«
»Erzählen Sie mir von Ihrem Freund, der ums Leben gekommen ist. Dem Journalisten. Hatte er etwas mit unserer Geschichte zu tun?«
24. Kapitel
H AMBURG , D EUTSCHLAND
Julia hörte das Rumpeln und Kreischen der Räder auf den Schienen und fühlte die Erschütterung, als die U-Bahn über ihren Kopf hinweg in Richtung Landungsbrücken raste. Das Ding, das von den Brückenstreben unter der U-Bahn-Trasse herabhing, pendelte leicht hin und her. Der Untergrund begann zu schwanken, und Julias Brustkorb verengte sich. Ruhig weiteratmen, befahl sie sich. Das da waren nur ein paar Kabelenden in einem Plastiksack, die da von den Stahlstreben herunterhingen. Der Luftzug der U-Bahn hatte dazu geführt, dass sie sich bewegten. Oder die Vibration der Stahlstreben. Durch langsame Atemzüge bekam Julia die Angst unter Kontrolle, aber die Beklemmung blieb. Ihre Beine zitterten. Eine Panikattacke am helllichten Tag mitten in der Stadt.
Seit Renards Tod war Julia nicht mehr sie selbst. Sah in
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