Dornteufel: Thriller (German Edition)
weniger, insofern ist uns permanenter Nachschub sicher.«
»Und deine Schwester?« Catherine stand auf und schlenderte durch den Raum. Das tat sie immer, wenn sie jemanden in die Zange nehmen wollte. Sie umkreiste ihn.
»Meine Schwester hat fantastische Arbeit geleistet. In Zukunft wird sich Serail Almond aus der Finanzierung der Hilfsorganisation weitgehend zurückziehen können, weil die Gelder von anderer Seite fließen«
»Das wird auch höchste Zeit. Serail Almond sollte möglichst gar nicht mehr in irgendeinen Zusammenhang mit Hanseatic Real Help gebracht werden können. Schlimm genug, dass du als unser Vorstandsmitglied mit diesem Verein zu tun hast. Das habe ich euch aber von Anfang an gesagt.«
Wilson blickte irritiert. Er beobachtete, wie sie ein paar Früchte aus der Schale auf dem Sideboard nahm und damit zu dem Wandbord ging, auf dem die hässliche Statue stand. Shitala, die indische Pockengöttin – oder wen auch immer das Ding darstellen sollte. Es passte gut zu Catherine …
»Wie laufen die Vorbereitungen für die Spendengala?«, fragte sie, als er sich neben sie stellte.
»Wir sind ausverkauft. Das wird in Hamburg eines der Ereignisse des Jahres werden. Die Event-Agentur, die Sonja beauftragt hat, überschlägt sich fast.«
»Wunderbar. Apropos, ich benötige noch eine Eintrittskarte für einen ganz bestimmten Tisch. Die bekomme ich doch bestimmt über deine liebe Schwester?« Sie legte die Früchte neben der Statue ab und strich über deren pockennarbiges Gesicht.
»Sicherlich. Sag ihr einfach Bescheid, wie viele du brauchst. Sonja hat alles im Griff, was die Hanseatic und diese Gala betrifft … Ähm …« Er zögerte.
»Ja?« Sie nahm eine Orange und ritzte die Schale mit ihren spitzen Fingernägeln auf.
Er musste es ihr sagen, auch wenn sie sich aufregen würde. »Sonja hat kürzlich eine unerfreuliche E-Mail bekommen. Es geht um einen Flüchtling, dessen Verwandtschaft irgendwie davon Kenntnis erhalten hat, dass er auf dem Schiff unserer Organisation gelandet ist. Sie haben sich nach seinem Aufenthaltsort erkundigt.«
»Und wo ist dieser Flüchtling jetzt?«
»Der Mann ist auf dem Weg nach Bihar.«
»Und das erwähnst du so beiläufig, als wäre es ein Kratzer im Autolack?«, brauste Catherine auf. Die Frucht wurde unter ihrem festen Griff fast zerquetscht.
»Wir können den Transport jederzeit stoppen. Zumindest, wenn der Flüchtling noch nicht zu viel mitbekommen hat. Ansonsten hat er eben bedauerlicherweise einen Unfall und ist über Bord gefallen.«
»Na wunderbar! Das erregt ja überhaupt kein Aufsehen. Hast du eine Vorstellung, wie das aussehen würde? Es ist doch gerade die Aufgabe eurer Organisation, Flüchtlinge vor einem solchen Schicksal zu bewahren.«
»Ich hab’s im Griff. Es ist nichts.«
»Weiß sonst noch jemand von diesem Flüchtling? Andere Mitarbeiter bei Hanseatic Real Help? Die Ausländerbehörde? Amnesty International?« Sie drapierte die Orangenstücke zu Füßen der Statue.
»Niemand. Und Sonja hat mir die Mail überlassen. Ich kümmere mich darum.«
»Denkst du, dass deine Schwester den Vorfall vergisst, nur weil es dir besser in den Kram passt?«
»Nein. Aber ich weiß definitiv, dass sie es vergisst, weil sie seit Tagen ständig überlegt, welches Kleid sie für das große Fest kaufen soll. Und weil sie drei Minuten auf der Bühne stehen wird und immer wieder über den Inhalt ihrer kleinen Ansprache nachdenkt. Ihre Gedanken sind so sehr auf diese beiden Sachen fixiert, dass alles andere innerhalb von Minuten aus ihrem Gedächtnis gelöscht ist.«
»Meinst du?«
»Ich hab Sonja unter Kontrolle.«
»Du neigst dazu, Frauen zu unterschätzen, Stefan.« Catherine starrte auf die Statue, deren entstelltes Gesicht im Halbdunkel lag. Die aufgebrochenen Fruchtstücke unter ihr hatten eine kleine Lache aus Fruchtsaft gebildet.
»Und du neigst dazu, Kleinigkeiten überzubewerten, Catherine«, entgegnete er. »Du kannst dich nicht um jeden Dreck kümmern. So eine kleine Klitsche wie die Firma, von der du einst gekommen bist, ist Serail Almond eben nicht.«
Sie sah ihn verächtlich an. »Ich kümmere mich für dich um die Sache mit diesem Flüchtling. Bis zu der Gala ist ja noch Zeit dazu.« Dann fügte sie mit einem bösen Lächeln hinzu: »Du solltest Shitala auch etwas opfern. Man muss die Göttin bei Laune halten.«
Am nächsten Morgen zeigten sich erste Vorboten des Frühlings in der Hansestadt. Der Himmel war blau, und Julia hörte seit langer
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