Dornteufel: Thriller (German Edition)
gründliche kriminalistische Untersuchung des Eigentums einer verdächtigen Person vor. Vermutlich stand sie immer noch unter Beobachtung. Und jetzt brauchte sie Kleidung in gedeckten Farben für Sonjas Beerdigung. Schlimmer ging es kaum.
Julia war den anderen Trauergästen auf Einladung von Sonjas Eltern hin in ein Lokal nahe dem Friedhof gefolgt. Sie tat das hauptsächlich deshalb, weil sie das Gefühl hatte, dass Sonja dies gewollt hätte.
Die Gäste, die nach der Anspannung in der Kapelle langsam auftauten, unterhielten sich erst verhalten, dann immer lebhafter. Und die Umstände von Sonjas Tod waren natürlich Gesprächsstoff Nummer eins. Julia hörte verschiedene Gerüchte über die Explosion in den Fischauktionshallen und verschwieg nach Möglichkeit, dass sie dabei gewesen war. Von einem rechtsextremistischen Hintergrund war die Rede, aber auch von einer Verwicklung von Al Kaida oder einem Bekennerschreiben aus der linken Szene. Julia glaubte nichts von alledem, und sie fühlte sich schlecht, weil sie, wann immer über den Anschlag geredet wurde, nur bedauernd mit den Schultern zucken konnte.
Während sie mit einer Tasse Kaffee in der Hand herumstand, hatte sie mit einem Mal das seltsame Gefühl, beobachtet zu werden. Sie drehte rasch den Kopf, doch alle Umstehenden schienen sich auf ihre jeweiligen Gesprächspartner zu konzentrieren. Wer immer sie womöglich belauerte, er machte seine Sache gut. Oder handelte es sich gar um Polizei in Zivil? War es vielleicht der überaus kräftig gebaute Kellner mit dem akkuraten Haarschnitt, der sein Tablett nicht mit derselben Selbstverständlichkeit trug wie seine Kollegen? Julia bemerkte, wie er erst nach einem wachsamen Blick in die Runde in der Küche verschwand. Im nächsten Moment trat Stefan Wilson zu ihr.
»Herzlichen Glückwunsch, Julia«, sagte er zynisch und starrte sie aus roten Augen an.
»Wozu?«
»Du lebst. Sonja ist tot.«
»Du lebst auch«, entgegnete Julia. Sie wollte hier nicht mit ihm streiten. Er sah aus wie ein Zombie, blass und mit dunklen Augenringen, als hätte er die eine Woche seit dem Anschlag kein Auge zugemacht. Julia wusste nicht, wo er gewesen war, als sich die Explosion ereignet hatte. Aber er schien unverletzt zu sein, während an ihrem Körper noch langsam verheilende Schnitte und blaue Flecke waren, die der Sturz und herumfliegende Splitter ihr zugefügt hatten. Irgendwo in den Fischauktionshallen musste er gewesen sein, als sich die Explosion ereignet hatte, aber nicht in der Nähe von Tisch neun, wie es aussah.
»Wenn du nicht wärst, würde Sonja noch leben!«
»Wie kommst du denn darauf, Stefan?«, fragte Julia scharf, aber in gedämpfter Lautstärke. »Die Polizei weiß jedenfalls noch nicht, wer den Anschlag in den Fischauktionshallen verübt hat. Aber vielleicht bist du ja besser informiert als die Polizei? Du hast Sonja den Job bei Hanseatic Real Help ja überhaupt erst vermittelt.«
»Das hab ich, und zwar, weil sie in ihrem alten Job nicht mehr klargekommen ist. Es hat sie krank gemacht, sie wurde gemobbt, und sie war verzweifelt. Und du? Du hast sie in dieser Zeit im Stich gelassen, um an deiner Karriere zu basteln, und bist nach Indien abgehauen.«
»Das ist nicht wahr!«, protestierte Julia.
»O doch. Und ich denke das Gleiche, was die Polizei ganz offensichtlich auch denkt: dass der Anschlag etwas mit dir und deinen Aktivitäten zu tun hat. Ich wollte dich im Krankenhaus besuchen, aber dein Zimmer war besser abgesichert als Fort Knox.«
»Wenn es irgendeine Verbindung zwischen mir und dem Anschlag gibt, dann nur, weil ich für Serail Almond gearbeitet habe. Frag doch mal deine anderen Vorstandsmitglieder, was sie über die Vorgänge in eurem Forschungszentrum in Bihar und den Mord an dem Journalisten Renard in Hamburg wissen!« Julia biss sich auf die Lippe. Das Letzte hätte sie nicht sagen sollen. Aber Stefan hatte sie provoziert.
Seine Augen flackerten, und ihm standen Schweißperlen auf der grauen Haut. So außer sich vor Wut hatte sie ihn noch nie gesehen – hatte sie niemanden je gesehen, dachte sie. Er sah aus, als würde er in der nächsten Sekunde losbrüllen oder zuschlagen. Vorsichtshalber ging Julia einen Schritt rückwärts.
Stefan zeigte mit dem Finger auf sie und zog damit die Aufmerksamkeit einiger Leute auf sich, die in ihrer Nähe standen. »Ich habe dich schon einmal gewarnt, Julia: Deine lächerliche, unter Drogeneinfluss eingebildete Zombie-Geschichte aus Bihar solltest du lieber für
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