Dornteufel: Thriller (German Edition)
die Umstehenden. Die meisten waren Inder, und viele schienen sich untereinander zu kennen. Nur wenige Europäer standen in kleinen Gruppen herum und warfen Julia hin und wieder neugierige Blicke zu. Parminski tauchte schließlich wieder neben ihr auf, und sie reihten sich in eine Schlange ein, die irgendwo hinten im blühenden Garten bei dem Brautpaar enden würde, das dort die Gratulationen und die Geschenke entgegennahm.
Parminski hatte nun eine längliche Schachtel im Arm, die in geschmacklos bedrucktem, golden glitzerndem Papier eingewickelt war. Er steckte einen Umschlag unter das pinkfarbene Satinband. »Ich habe in Ihrem Namen mit unterzeichnet«, sagte er. »Das ist Ihnen doch recht?«
»Kommt darauf an, was drin ist«, entgegnete sie. Wo hatte er das Ding auf einmal her? Der Fahrer hatte sie vor dem Portal abgesetzt, und da waren seine Hände noch leer gewesen.
»Ich weiß nicht genau, was es ist.« Er schüttelte den Karton. »Es tickt nicht. Ich nehme an, es ist ungefährlich.«
»Aber Ihr Job bei Serail Almond hinterlässt keine bleibenden Schäden, oder?«, fragte Julia.
»Ich fürchte doch.« Er grinste, was ihn völlig verändert aussehen ließ.
Nach einer Viertelstunde erreichten sie ein üppig mit Satinstoffen und Blumen dekoriertes Podest, auf dem das Brautpaar in thronähnlichen Sesseln saß. Julia fand, dass der Bräutigam ein bisschen feist und die Braut entsetzlich jung wirkten. Insgesamt machten die beiden einen gestressten und auch einen etwas gelangweilten Eindruck. Es musste Stunden dauern, bis sie alle Gäste formvollendet begrüßt hatten. Die Braut nahm das Präsent entgegen und reichte es, ohne einen Blick darauf zu werfen, an einen der Hotelpagen im Hintergrund weiter, der es auf dem langen Geschenktisch ablegte.
»Ich wette, unser Geschenk ist da nicht zum ersten Mal hingelegt worden«, flüsterte Julia, als Parminski sie nach der Gratulation des Brautpaars in Richtung Bar zog. »Wo haben Sie die Karte gelassen?«
»Die ist heruntergefallen«, raunte er. »Aber keine Sorge: Wenn man sie unter dem Tisch findet, bekommen die edlen Spender auch ihre Danksagung.«
Julia lächelte. »Wie beruhigend.«
»Ich brauche jetzt einen Drink. Und Sie?«
Sie bestellten Gin Tonic. Julia musterte Parminski mit neu erwachtem Interesse. »Sie sind überhaupt nicht eingeladen gewesen, oder?«, mutmaßte sie nach dem ersten Schluck. »Und Sie kennen das Brautpaar gar nicht.«
»Aber ich wusste, dass sie heute hier heiraten.«
»Das stand bestimmt nur in der Zeitung«, behauptete sie und fragte sich im Stillen: Ein Security Officer, der solche Spielchen trieb?
»Das ist nicht ›Serail Almond‹-konform«, sagte er, als hätte er ihre Gedanken erraten.
»Was?«
»So kritische Fragen zu stellen, wie Sie das gerade tun. So kritische Fragen überhaupt zu denken.« Seine Augen blickten wieder so unnachgiebig wie an dem Tag, als sie ihn kennengelernt hatte.
Julia ließ sich nicht davon beeindrucken. »Was wollen Sie wirklich hier, Parminski?«
»Sie haben das Büfett noch nicht gesehen.«
A N B ORD DER A URORA
Es musste Tag sein, denn durch die Türritzen des Containers fielen Streifen bläulichen Lichts. Kamal Said hatte ein wenig geschlafen, und vom Liegen auf dem harten Untergrund taten ihm die Knochen weh. Er lauschte, bevor er sich zu rühren wagte. Der Schiffsdieselmotor brummte gleichmäßig. Er fühlte das Rollen der Wellen und glaubte, auch Wind- und Wassergeräusche zu hören, doch er wusste, dass man sich nach den eintönigen Stunden in diesem Metallverlies alles Mögliche einbilden konnte.
Als er sich aufrichtete, wurde ihm schwindelig. Sein Mund war trocken. Er fühlte nach seinem Wasserkanister, hob ihn an und merkte erschrocken, dass der Behälter sich schon viel leerer anfühlte als beim letzten Mal. Wasser … Würde das Wasser für sie beide reichen? Navid war krank. Und er, Kamal, hatte eine Verantwortung gegenüber dem Jüngeren. Er glaubte jedenfalls, der ältere von ihnen zu sein. Immerhin hatte Navid erklärt, er wäre erst fünfzehn. Das hatte er ihm mit den paar Brocken Englisch, die er konnte, mitgeteilt. Es war natürlich ratsam, sich jünger zu machen, wenn man sich auf der Flucht befand. Kamal glaubte sogar, Navid ganz kurz in der Villa Azadi gesehen zu haben, der Unterkunft für minderjährige Flüchtlinge auf der Insel Lesbos, wo er selbst ein paar Wochen gelebt hatte, um Kraft für die Fortsetzung seiner Flucht zu sammeln. Das Alter eines Menschen konnte man
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