Dornteufel: Thriller (German Edition)
und warte dort auf mich!«
Sein ernster Gesichtsausdruck veranlasste Julia dazu, nur zu nicken und zu tun, worum er sie bat. Sich dem Unfallopfer zu nähern, um auf irgendeine Art und Weise Hilfe zu leisten, war sowieso unmöglich. In der Lobby erfuhr sie nach zehn langen Minuten, dass es sich bei dem Unfallopfer um einen unbekannten Inder handelte. Als Parminski kurz danach zu ihr trat, immer noch blass und mit zusammengepressten Lippen, fragte sie ihn sofort: »Hast du irgendwas herausgefunden? Was ist passiert?«
»Der Mann ist tot – beim Überqueren der Straße überfahren worden«, antwortete er widerstrebend. »Das ist alles.«
»Aber von wo soll er denn gekommen sein? Wir hätten ihn doch sehen müssen!«
»Bei dem Verkehr hier?«, entgegnete er brüsk.
Der warnende Blick, mit dem er sie bedachte, veranlasste sie dazu, den aufkeimenden Protest herunterschlucken. Stattdessen erkundigte sie sich: »Bist du okay? Du siehst so aus, als könntest du gerade ein etwas stärkeres Getränk vertragen.«
Er rang sich ein Lächeln ab. »Es geht schon. Aber die Idee ist nicht schlecht. Wir sollten allerdings dieses Hotel heute nicht mehr verlassen. Es gibt hier eine Bar auf dem Dach.«
Sie fuhren mit dem Fahrstuhl hoch und fanden einen Zweiertisch nahe der Brüstung, von wo sie auf die Lichter von Patna und das breite, dunkle Band des Ganges blicken konnten.
»Atemberaubend«, sagte Julia.
»Im Dunkeln sieht Indien immer gut aus.«
Und auch ihm stand die Dunkelheit gut, fand sie. »Nur im Dunkeln?«, entgegnete sie. »Mir hat unser Ausflug auch tagsüber gut gefallen.«
»Dann musst du dir unbedingt Varanasi anschauen. Es liegt ebenfalls am Ganges, und es heißt, wenn man dort im Fluss badet, kann man sich von seinen Sünden reinwaschen.«
»Von begangenen Sünden oder auch von zukünftigen?«, fragte sie im Plauderton.
»Ich würde es nicht darauf ankommen lassen. Der Fluss ist total verschmutzt«, antwortete er ernst und verstummte dann.
Julia merkte, dass es ihn einige Mühe kostete, locker zu plaudern. Der Unfall hatte ihn ziemlich aus der Fassung gebracht. Sie nippte an ihrem Drink und ließ die vergangenen Stunden in Patna Revue passieren. Parminski saß da, äußerlich entspannt; gleichwohl hatte Julia den Eindruck, dass er seine Umgebung recht wachsam beobachtete.
Irgendwann sagte er: »Wenn es dich wirklich so nervt – dieses ›Eingesperrt‹-sein bei Serail Almond –, dann ist der Job vielleicht nicht ganz das Richtige für dich.«
»Der Job gefällt mir. Und mein Aufenthalt hier ist ja sowieso begrenzt auf ein halbes Jahr.«
»Das kann sehr lang werden.«
»Willst du mich loswerden?«
Er sah sie nachdenklich an. Schließlich gestand er: »Ich will dich ganz und gar nicht loswerden. Du bist das Beste, was mir seit meiner Ankunft hier passiert ist. Aber …«
»Aber was?«
»Das hier ist nicht das Richtige für dich. Du kannst doch als Ingenieurin sonst wo arbeiten. Denk wenigstens noch einmal drüber nach.«
Das hatte sie schon. Wenn an den Gerüchten über Serail Almonds Forschungspraktiken etwas dran war, dann war das wirklich nicht der richtige Arbeitsplatz für sie. Es hieß, dass Probanden nicht über mögliche Nebenwirkungen der neu entwickelten Wirkstoffe aufgeklärt und teilweise sogar gegen ihren Willen festgehalten worden waren. Und Mitarbeiter, die sich in der Öffentlichkeit über die Zustände beklagten, hatte man angeblich gefeuert und sogar bedroht. Andererseits stürzte sich die Presse immer gern auf solche Geschichten, selbst wenn die Verdachtsmomente sehr unsicher waren … Und es gab nichts, das je bewiesen worden war. Im Zweifelsfall handelte es sich nur um Gerüchte, die von der Konkurrenz verbreitet wurden. Außerdem war sie nicht bei Serail Almond angestellt, sondern bei einem Dienstleister des Konzerns. Auch würde es sich in ihrem Lebenslauf nicht gut machen, wenn sie hier alles hinschmiss, nur weil sie plötzlich aufgrund vager Gerüchte ein paar moralische Bedenken bekommen hatte. Und überhaupt, was mischte Parminski sich ein? »Ich habe darüber nachgedacht. Wieso soll es für dich richtig sein und für mich nicht?«, fragte sie eine Nuance schärfer als beabsichtigt.
»Ich weiß wenigstens in etwa, worauf ich achten muss.« Er trank noch einen Schluck. »Und ich habe besondere Gründe, es durchzuziehen.«
»Welche Gründe kann es geben – außer, dass einem die Arbeit gefällt, das Umfeld … oder das Geld?«
»Ich bin der richtige Mann für den
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