Dornteufel: Thriller (German Edition)
sich, ob er jemals …
Wenn er seinen Eltern doch nur bald Geld schicken könnte. Er war jetzt der Älteste. Der Sohn der Nachbarn hatte es auch geschafft. Der lebte in Deutschland und sorgte aus der Ferne für das Überleben seiner Angehörigen. Das letzte Mal, als er von Lesbos aus mit Angehörigen hatte sprechen können, war es für sie unbegreiflich gewesen, warum er so lange brauchte, um nach England zu gelangen. Die Verantwortung, der sich Kamal an jedem Tag seiner Flucht bewusst war, stellte eine entsetzliche Last dar. Er durfte nicht scheitern. In diesem Container zu sterben würde weiteres Unglück über seine Familie bringen – und Schande über ihn. Der Schlepper, dem er sein letztes Geld hatte geben müssen, hatte gesagt, die Überfahrt würde acht bis zwölf Tage dauern. Er solle genügend Vorräte mitnehmen und sich keinesfalls entdecken lassen. Doch niemand hatte erwähnt, dass er sich auch noch um einen kranken Jungen würde kümmern müssen. Der Hunger war auszuhalten, den kannte er, aber der Durst …
P ATNA , B IHAR , I NDIEN
Julia und Parminski landeten ein paar Minuten später auf ihrem Hotelbett. Ein Teil von ihr schien das eigene Verhalten von außen zu beobachten und diagnostizierte akuten Lagerkoller. Sie hatte Robert am Anfang doch eigentlich ziemlich nervig gefunden. Ihr Urteil über ihn hatte sich jedoch in den letzten Stunden grundlegend geändert. Sie mochte ihn. Sehr sogar. Er hatte wirklich etwas. Und er roch auch noch gut. Oder war ihr gegenseitiges Verlangen nur die verzweifelte Reaktion auf den Tod eines Menschen – ein tragisches Ereignis, das sich beinahe direkt vor ihren Augen zugetragen hatte? Auf jeden Fall war es gut, jetzt und hier nicht allein zu sein.
Er umklammerte ihren Körper und drehte sich mit ihr, sodass sie schließlich auf ihm lag, während sein Mund den ihren erforschte. Sie fühlte ihn unter sich – seinen warmen, festen Körper, seine Erektion. Seine Hände strichen ihren Rücken hinunter, umfassten ihren Po, drückten zu.
»Gibt es irgendeine Möglichkeit, dich aus diesem Kleid zu bekommen, ohne dass ich es zerreiße?«, fragte er.
Julia setzte sich auf, öffnete den Reißverschluss und zog sich das Kleid über den Kopf. Er beobachtete sie mit dem konzentrierten Blick, den sie schon von ihm kannte. Sie warf das Kleid weg, knöpfte sein Hemd auf und streifte es ihm ab. Wer hätte gedacht, dass er unter diesem langweiligen Zeug einen so ansehnlichen Körper versteckt hatte? Julia streichelte ihn, fühlte die Muskeln unter der warmen Haut, das raue, dichte Brusthaar. Sie befreiten sich gegenseitig von den restlichen Kleidungsstücken und erkundeten sich gegenseitig; sie waren beide erstaunt über das, was sie taten, und dennoch entschlossen, es fortzuführen.
Doch plötzlich stutzte Julia. In die Haut auf seinem Schulterblatt war das Bild einer Echse eintätowiert. Nicht dass ein Tattoo an sich ungewöhnlich war; in gewissen Kreisen gehörte es heute einfach dazu, sich an irgendeiner Körperstelle eine Zeichnung einstechen zu lassen. Aber so etwas hatte sie noch nie gesehen: eine orangerote Echse, die über und über mit spitzen Stacheln bedeckt war. Das Tier sah beinahe lebensecht aus und hatte etwas Diabolisches an sich. Es schien den Betrachter jeden Moment anspringen zu wollen. Die Tätowierung passte irgendwie nicht zu dem seriösen Security-Experten, den Robert Parminski gemeinhin verkörperte.
»Wer oder was ist das?«, fragte sie, für den Moment abgelenkt. Sie zeichnete mit dem Finger die Umrisse des Tieres nach.
»Den hab ich aus Australien mitgebracht. Ein Dornteufel.«
Parminski zog sie wieder an sich und bedeckte sie überall mit Küssen. Sie fühlte sein Zungenspitze auf ihrer Haut, spürte, wie er an ihren Brustwarzen sog. Leise stöhnte sie auf. Jegliche Überlegungen, was das Tattoo über seinen Besitzer aussagte, lösten sich in nichts auf. Waren es nicht letztendlich die Brüche, die einen Menschen ausmachten? Das war so ziemlich ihr letzter zusammenhängender Gedanke. Er liebte sie mit erstaunlicher Hingabe – schien seine Zurückhaltung und die Ahnung drohenden Unheils vergessen zu haben.
»Wir haben die Balkontür nicht zugemacht«, sagte Julia, als sie später erschöpft, aber zufrieden nebeneinanderlagen. »Das hätten wir besser vorher tun sollen.«
»Hey, das ist mein Part«, flüsterte er. »Schon vergessen?«
M ANHATTAN , N EW Y ORK , USA
Inzwischen hatte ein DNA-Test das Unglaubliche bestätigt: Bei der wie eine
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