Dornteufel: Thriller (German Edition)
Oberkörper ruckte vor. »Der Fall Stern ist abgeschlossen, Ferland. Geht das nicht rein in deinen Dickschädel?«
»Was schadet es, wenn ich ein bisschen nachbohre? Es ist ja nicht gerade so, dass ich meine andere Arbeit darüber vernachlässige«, entgegnete Ferland ruhig. Bei einem Brüllduell mit dem Lieutenant käme eh nichts heraus. Darin war sein Vorgesetzter die wirkliche Nummer eins.
Graziano ließ seine Faust auf die Tischplatte niederkrachen. Einen Moment sah es so aus, als würde er tatsächlich losbrüllen. Dann sagte er in ätzendem Tonfall: »Was das schadet? Du lässt deinen Kollegen Flavio allein in einer heruntergekommenen Pfandleihe Befragungen durchführen, während du deinen privaten Interessen nachgehst. Daraus kann sich verdammt schnell eine verdammt heikle Lage entwickeln!«
»Einmal!« Ferland hielt einen Finger hoch. »Ein einziges Mal hat Flavio etwas allein durchgezogen.«
»Du hast damit sein Leben riskiert.«
»Das war doch vollkommen ungefährlich. Und Flavio war damit einverstanden. Er kannte den Typen. Hat er etwa …«
»Flavio hat dich nicht verpfiffen, falls es das ist, was du vermutest. Er hat es erst auf meine Nachfrage hin zugegeben.«
Plötzlich klang Graziano müde. Das war jedoch bedenklicher als die allseits bekannte Wut. Immerhin war Flavio nicht petzen gegangen. Ein kleiner Trost. War die Standpauke nun vorbei? Ferland schielte zur Tür.
»Was soll ich nur mit dir machen?«, fuhr Graziano fort. »Du warst doch immer ein guter Mann, Ryan. Einhundert Prozent zuverlässig. Und jetzt das.«
Du warst … Er sprach bereits in der Vergangenheitsform über ihn. Ferland war geschockt. »Das ist zum Glück das Problem eines Lieutenants – und nicht meins.«
Er verließ polternd den Raum. Toller Abgang , gratulierte er sich ironisch. Das würde Konsequenzen haben. Wenn seine Welt den Bach runterging, dann doch bitte auch mit Getöse.
H AJIPUR , B IHAR , I NDIEN
Julia hatte den Rikschafahrer angewiesen, weiterzufahren, als ihr die Polizisten vor dem Bahnhof aufgefallen waren. Während sie das rosa Gebäude mit der Aufschrift Hajipur Jn. passierten, hatte sie sich tief in den rissigen Sitz der Rikscha gedrückt. Nun wollte der Fahrer allmählich wissen, wo sie hinwollte und ob sie auch Geld dabeihabe.
Geld … Wie weit würde sie wohl mit ihrem Bargeld kommen? Mit ihrer Kreditkarte irgendwo Geld abzuheben wäre beinahe genauso gefährlich, wie das Mobiltelefon von Serail Almond zu benutzen. Damit würde sie eine elektronische Spur legen, die man in kürzester Zeit entdecken könnte. Doch warum eigentlich nicht? Die Kerle vermuteten sowieso, dass sie in Hajipur war. Vermuteten? Nein, sie wussten es. Der Portier hatte ihren Pass gesehen und ihre Daten irgendwohin durchgegeben. Schlimmer, er hatte ihren Pass immer noch! Julia wurde es eiskalt. Die Erkenntnis, dass ihr Reisepass in den Händen ihrer Feinde war, fühlte sich an wie ein Sturz ins Bodenlose.
Denk an was anderes , befahl sie sich. Überleg lieber, wen du jetzt anrufen könntest! Während sie das Mobiltelefon anstarrte und sich nicht dazu durchringen konnte, den Akku wieder einzusetzen, kam ihr eine Idee. Sie bat den Fahrer, vor dem Stand eines Straßenhändlers zu stoppen, und fragte ihn, ob er ein Handy besaß. Er zog ein kleines Mobiltelefon hervor und zeigte es ihr. Es war ein Prepaid-Handy, der Akku vollgeladen.
»Möchten Sie es tauschen?« Sie zeigte ihm ihres.
Er betrachtete es interessiert, schüttelte dann aber den Kopf. Es folgten zähe Verhandlungen, bis er endlich einwilligte, und dann auch nur, weil er zusätzlich zum Mobiltelefon noch ein paar Geldscheine erhielt. Anschließend tauschten sie ihre Telefon- und PIN-Nummern aus.
Julia bezahlte den Rikschafahrer, kaufte sich noch eine Flasche Wasser und ließ sich neben dem Stand des Straßenhändlers unter einem großen Baum nieder, unter dem schon ein paar Rucksacktouristen lagerten. Sie wollte den Anschein erwecken, als gehöre sie dazu. In einer Gruppe Europäer oder Australier fiel sie sehr viel weniger auf als unter Indern. Gleichwohl achtete sie darauf, so viel Abstand zu den Touristen zu haben, dass man sie nicht hörte, wenn sie leise sprechen würde.
Julia wog das fremde kleine Telefon in ihrer Hand. Ihr wurde klar, dass sie mit dem alten Handy auch ihr gesamtes Telefonregister verloren hatte. Wie viele Nummern wusste sie überhaupt auswendig?
Einen kurzen Moment fürchtete Julia, ihre Freundin würde ihr nicht glauben, nachdem sie
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