Dornteufel: Thriller (German Edition)
jetzt an Paul? Und Moira war tot. Es war alles …
Sie merkte, wie ihr die Tränen über das erhitzte Gesicht liefen.
Die Polizistin legte mitfühlend den Arm um ihre Schultern, führte sie in die Küche, wo sie Rebecca auf einen Stuhl setzte, und begann, Tee zu kochen. Diese Tätigkeit verrichtete die muskulöse Frau mit geschmeidigen Bewegungen und gleichmütiger Miene. Rebecca beobachtete sie dabei, und das half ihr, sich wieder zu fassen.
»Sie müssen das nicht tun, nicht wahr? Sie sind sehr freundlich«, sagte Rebecca, als sie schließlich einen Becher Tee in beiden Händen hielt.
»Bei mir wurde auch mal eingebrochen«, erklärte die Polizistin. »Ist schon ein paar Jahre her. Aber ich weiß noch, wie beschissen hilflos ich mich danach gefühlt habe. Ich musste wegziehen, weil ich es nicht vergessen konnte. Das geht übrigens vielen so. Seien Sie froh: Hier ist ja niemand drinnen gewesen. So, wie der Täter unten gewütet hat, würden wir hier sonst auch ein paar Spuren sehen.«
»Und was ist mit dem Geruch?«
»Sie sind nur aufgeregt, das ist vollkommen normal. Aber Ihre Wohnung ist unberührt, Madame Stern. Vertrauen Sie mir.«
Madame Bertrand war von einem Mann erstochen worden, der sich als Paketbote ausgegeben hatte. Eine Verkäuferin aus einem Geschäft im gegenüberliegenden Haus hatte gesehen, wie er am Nachmittag gegen kurz nach fünf Uhr mit einem Paket unter dem Arm ins Haus gegangen war. Entsprechend ihrer Aussage hatte er einen gelben Overall mit Aufdruck auf dem Rücken und eine rote Schirmmütze getragen.
Er musste mit dem Paket dann an Madame Bertrands Wohnungstür gekommen sein, wahrscheinlich unter dem Vorwand, eine Unterschrift zu benötigen. Dann hatte er sie anscheinend angegriffen; und Madame Bertrand war in ihre kleine Wohnung geflüchtet. In dem vorderen Raum hatte der Angreifer das erste Mal zugestochen, was die Blutflecken am Fenster und auf dem Knüpfteppich erklärte. In Todesangst war die Concierge weiter ins Wohnzimmer geflohen und hatte dabei wohl den Stuhl umgestoßen. Der Mörder hatte sie dorthin verfolgt und sie durch mehrere Stiche in den Oberarm und in den Rücken schwer verletzt. Sie war zusammengebrochen und schließlich innerlich verblutet.
All das hatte Rebecca von der Polizei am nächsten Tag erfahren … Aber der Mord ergab für sie keinen Sinn.
Die Ermittler hofften natürlich, dass Spuren am Tatort sie zum Mörder führen würden. Mit etwas Glück war er früher schon einmal wegen irgendeines Deliktes erkennungsdienstlich behandelt worden. Doch warum schienen sie der Frage nach dem Motiv überhaupt keine Beachtung zu schenken?, dachte Rebecca. In keiner der Wohnungen im Haus war eingebrochen worden, obwohl hier mehrere wohlhabende Mieter lebten, die wertvolle Objekte zu Hause aufbewahrten. Der Kunsthändler, die Ärztin und auch sie selbst wären sicherlich lohnenswerte Opfer für einen Einbrecher – aber doch nicht Madame Bertrand mit ihren Knüpfbildern.
In einem hatte die Polizei jedoch recht: Rebecca fühlte sich in ihrem Zuhause nicht mehr sicher. Schon in der letzten Nacht hatte sie kaum geschlafen, und auch am heutigen Abend fand sie keine Ruhe. Aufgeregt lief sie in ihrer Wohnung herum. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie entsetzt aufschrie, als ihr Telefon plötzlich die Stille zerriss. Mit zitternder Hand nahm sie den Hörer auf.
»Rebecca, hier ist Paul.«
»O Paul, Gott sei Dank!«
»Was ist los mit dir?«
»Nichts«, log sie.
»Ich fliege morgen Mittag nach Hamburg. Streng geheime Mission …«
»Das ist gut. Sehr gut.«
»Weißt du vielleicht, in welchem Hotel Noël wohnt, wenn er in Hamburg ist?«
»Er nimmt immer ein anderes. Und ich weiß nicht, in welchem er diesmal abgestiegen ist. Ich habe heute ein paar Mal versucht, ihn zu erreichen, aber er geht nicht ans Telefon.«
»Schade. Darf ich die Visitenkarte … benutzen?«
»Fühl dich frei. Wenn es hilft«, sagte sie tonlos.
»Rebecca, was ist los mit dir?«
»Ich hab gestern Abend eine Tote gefunden«, brach es aus ihr heraus. »Madame Bertrand, meine Concierge. Sie wurde ermordet.«
»O verdammt, Rebecca. Das tut mir leid.«
Sie schilderte ihm, was passiert war, durchlebte den ganzen Albtraum noch einmal. Dabei ging sie in ihrer Küche auf und ab. Irgendwann blieb sie vor dem amerikanischen Kühlschrank stehen, an dessen Metalloberfläche ein paar Fotos und Postkarten mit Magneten befestigt waren. Andenken an die schönen Momente in ihrem Leben: Noël auf der
Weitere Kostenlose Bücher