Double Cross. Falsches Spiel
zurückgeworfen zu werden. Allmählich verlor er den Glauben daran, die Spione jemals fassen zu können.
Der Grund für seine Verzweiflung waren zwei entschlüsselte deutsche Funksprüche, die am Morgen aus Bletchley Park eingetroffen waren. Der erste war von einem deutschen Agenten in Großbritannien, der Berlin bat, mit regelmäßige n Übergaben zu beginnen. Der zweite kam aus Hamburg und ging an einen deutschen Agenten in Großbritannien, der aufgefordert wurde, genau das zu tun. Es war eine Katastrophe. Die Operation der Deutschen - worin sie auch bestehen mochte - verlief anscheinend erfolgreich. Wenn der Agent einen Kurier anforderte, mußte er logischerweise etwas gestohlen haben. Eine plötzliche Angst überfiel Vicary: Selbst wenn es ihm gelang, die Spione zu fassen, konnte es bereits zu spät sein.
Über Boothbys Tür brannte die rote Lampe. Vicary drückte den Summer und wartete. Eine Minute verstrich, und noch immer brannte die rote Lampe. Typisch Boothby. Erst rief er zu einer dringenden Unterredung, dann ließ er sein Opfer warten.
Warum haben Sie uns das nicht früher erzählt?
Aber das habe ich doch, Alfred, mein Alter... Boothby habe ich es erzählt.
Vicary drückte abermals auf den Summer. War es wirklich denkbar, daß Boothby von Vogels Agentennetz gewußt und es ihm verschwiegen hatte? Das ergab überhaupt keinen Sinn.
Vicary konnte sic h nur eine mögliche Erklärung vorstellen.
Boothby war strikt dagegen gewesen, daß Vicary den Fall übernahm, und er hatte von Anfang an kein Hehl daraus gemacht. Aber würde er in seinem Widerstand so weit gehen, Vicarys Arbeit gezielt zu sabotieren? Durchaus möglich. Wenn Vicary mit seinen Ermittlungen nicht vorankam, hatte Boothby einen Grund, ihm den Fall zu entziehen und einem anderen zu übertragen. Jemandem, dem er vertraute - einem Berufsoffizier beispielsweise, jedenfalls keinem der Neuen, die er nicht ausstehen konnte. Endlich leuchtete die grüne Lampe auf.
Vicary schlüpfte durch die große Flügeltür und schwor sich, erst wieder zu gehen, wenn er sich Klarheit verschafft hatte.
Boothby saß hinter seinem Schreibtisch. »Schießen Sie los, Alfred.«
Vicary informierte ihn über den Inhalt der beiden Funksprüche und erläuterte, was sie seines Erachtens zu bedeuten hatten. Boothby wand sich unruhig auf seinem Stuhl, während er zuhörte.
»Zum Teufel!« bellte er. »Die Neuigkeiten in diesem Fall werden mit jedem Tag schlechter.«
»Was die Vergangenheit der Agentin angeht, sind wir ein gutes Stück weitergekommen. Karl Becker hat sie als eine gewisse Anna von Steiner identifiziert. Sie kam an Heiligabend 1910 im Londoner Guy's Hospital zur Welt. Ihr Vater, Peter von Steiner, war Diplomat, ein wohlhabender preußischer Adliger.
Ihre Mutter war eine Engländerin namens Daphne Harrison. Die Familie blieb bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs in London, dann siedelte sie nach Deutschland über. Aufgrund Steiners Position wurde Daphne Harrison während des Krieges nicht interniert wie viele andere britische Bürger. Sie starb 1918 auf dem Gut der Steiners in Ostpreußen an Tuberkulose. Nach dem Krieg bekleidete Steiner verschiedene Auslandsposten.
Seine Tochter lebte bei ihm. Anfang der zwanziger Jahre war er für kurze Zeit wieder in London tätig. Er arbeitete aber auch in Rom und Südamerika.«
»Könnte ein Spion gewesen sein«, sagte Boothby. »Aber fahren Sie fort, Alfred.«
»1937 verschwand Anna Steiner. Über alles weitere können wir nur spekulieren. Sie absolviert eine Ausbildung bei der Abwehr, wird in die Niederlande geschickt, um eine falsche Identität als Christa Kunst anzunehmen, und geht dann nach England. Übrigens kam Anna Steiner im März 1938 angeblich bei einem Autounfall in der Nähe Berlins ums Leben. Das hat sich offensichtlich Vogel ausgedacht.«
Boothby stand auf und durchmaß sein Büro. »Das ist alles sehr interessant, Alfred, aber die Sache hat einen entscheidenden Haken. Alles basiert auf Informationen, die Ihnen Karl Becker gegeben hat. Becker würde alles sagen, um sich bei uns lieb Kind zu machen.«
»Becker hat keinen Grund, uns in diesem Punkt anzulügen.
Und seine Geschichte stimmt lückenlos mit dem wenigen überein, das wir mit Sicherheit wissen.«
»Ich sage ja nur, daß man alles, was der Mann sagt, mit äußerster Vorsicht genießen muß.«
»Warum waren Sie dann letzten Oktober so lange bei ihm?« fragte Vicary.
Boothby stand gerade am Fenster und sah auf den Platz hinab, der in der
Weitere Kostenlose Bücher