Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre
liegen.‹« Gerade wollte ich fragen, wer Sevier Tadlock und Joe Pyatt waren, doch als könnte sie meine Gedanken lesen, hob sie einen Finger, um mich zum Schweigen zu bringen. »Er sagte: ›Eine Eisenbahnlinie wird von der Hauptstrecke zwischen Louisville und Nashville abzweigen, nach Robertsville hinunterführen und sich dann noch einmal verzweigen und in Richtung Scarboro wenden. Gewaltige Maschinen werden große Gräben graben, und tausende von Menschen werden geschäftig hin und her laufen. Sie werden mancherlei erbauen, und es wird viel Lärm sein und Durcheinander, und die Erde wird beben.‹ Aber jetzt kommt der beste Teil; er spricht über das Bear Creek Valley, wo die Y-12-Anlage errichtet wurde: ›Das Bear Creek Valley wird eines Tages voller riesiger Gebäude und Fabriken sein, und sie werden dazu beitragen, den größten Krieg zu gewinnen, den es je geben wird.‹«
»Sie machte eine kurze Pause, um die Worte wirken zu lassen. Dann las sie noch eine Zeile:« › So habe ich es gesehen. So wird es sein.‹«
Langsam schloss sie das Buch, schaute mich über ihre Brille hinweg an und zog die Augenbrauen hoch, als wollte sie fragen: Und?
Zu meiner Überraschung hatten mir die Worte ein Frösteln über den Rücken gejagt. In diesem Stadium meines Lebens war ich, was metaphysische Angelegenheiten betraf, ein rechter Skeptiker geworden. Ich hatte jeden Tag mit wissenschaftlichen und forensischen Fakten zu tun, grausamen Fakten obendrein, und die tröstlichen Worte der organisierten Religion ignorierten viel Leid. Mein Glaube war auch durch das unverdiente Leiden und den Tod meiner Frau Kathleen vor einigen Jahren arg erschüttert worden. Trotzdem musste ich zugeben, dass ich gelegentlich Phänomenen begegnete, die die Wissenschaft nicht erklären konnte. Diese Prophezeiung schien so ein Phänomen zu sein.
»Das hat er 1900 gesagt? Vierzig Jahre bevor die ersten Bulldozer angerückt sind?«
»Etwa um die Zeit. Und er ist 1915 gestorben, es ist also nicht so, als hätte er erlebt, wie es sich entwickelte, und wäre dann vorgetreten und hätte behauptet: ›O ja, ich hatte vor langer Zeit eine Vision.‹ Es ist ziemlich gut dokumentiert, dass er mit irrem Blick aus dem Wald kam und über Fabriken und Maschinen und den Sieg in einem großen Krieg sprach.«
»Und das mit Tadlock und Pyatt?«
»Ihre Farmen lagen auf dem kleinen Hügel, wo das Hauptquartier des Manhattan-Projekts erbaut wurde«, sagte sie. »Während des Krieges war es ein riesiges Holzgebäude, das den Spitznamen ›Schloss auf dem Berg‹ trug. In den 70er-Jahren hat das Energieministerium dann an derselben Stelle ein Gebäude aus Glas und Beton errichtet. Es ist also immer noch das, was Hendrix das ›Zentrum der Macht‹ genannt hat, selbst heute.«
»Und die Eisenbahnlinie?«
»Die führt keine zwei Kilometer von der Y-12-Anlage entfernt direkt an seinem Grab vorbei.«
Ich nickte. »Klingt, als hätte Hendrix alles richtig vorhergesehen«, sagte ich. »Viel genauer als die Psychos, die bei der Polizei anrufen und sagen: ›Ich sehe eine Leiche an einem dunklen, feuchten Ort.‹ Hat er auch die Freundschaftsglocke vorhergesagt?«
Sie lachte ein musikalisches Lachen, das mich an Glockenläuten erinnerte, und ich spürte erneut ein Prickeln im Rücken. »Nein, so weit hat er nicht in die Zukunft gesehen«, erklärte sie, »obwohl man meinen möchte, er hätte so weit schauen sollen, schließlich hat er von großen Kriegen gesprochen.« Sie bemerkte meinen verdutzten Blick. »Es gab eine ziemliche Kontroverse um die Glocke«, erklärte sie. »Die meisten Menschen nennen sie die Friedensglocke. Einige Ortsansässige empfanden sie jedoch als Schlag ins Gesicht für all jene, die am Manhattan-Projekt mitgearbeitet haben. Zu sehr wie eine Entschuldigung. Ein paar sind sogar mit der Behauptung vor Gericht gezogen, es wäre ein religiöser Schrein und so etwas dürfe nicht auf öffentlichem Grund stehen. Doch inzwischen scheint die Kontroverse sich gelegt zu haben.«
»Vielleicht, weil die, die an der Bombe mitgebaut haben, allmählich aussterben«, sagte ich. Sie warf mir einen seltsamen, scharfen Blick zu, und ich wünschte, ich wäre taktvoller gewesen.
»Falls Sie etwas brauchen, ich bin am Auskunftstisch«, sagte sie und zeigte ans andere Ende des Lesesaals. Sie überließ mich den Fotos von Bulldozern und Kränen und LKWs, die bis zu den Achsen im Schlamm versunken waren. Doch das Bild, das mich am meisten beschäftigte, war das der
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