Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre
schwarzhaarigen, braunäugigen Bibliothekarin, die mir von den Prophezeiungen über Oak Ridge und seine Rolle beim Sieg im »größten Krieg, den es je geben wird« erzählt hatte.
Ich hoffte, die Zukunft würde beweisen, dass John Hendrix’ Prophezeiung im letzten Punkt genauso exakt war wie in den anderen.
12
Am Morgen nach der Beerdigung wachte ich frischer auf als seit Tagen. Vielleicht lag das daran, dass ich die ganze Nacht durchgeschlafen hatte, ungestört von irgendwelchen Spritzen, die mir Blut abzapften. Vielleicht lag es auch daran, dass ich einen schönen Traum von der Bibliothekarin in Oak Ridge gehabt hatte. Ich war um sieben auf dem Campus, schaute im Knochenlabor vorbei, um Miranda einige Notizen zu hinterlegen, und war dann zwei Stunden damit beschäftigt, die erste Klausur dieses Semesters über die menschliche Abstammung zu benoten.
Um elf rief Peggy an. »Vergessen Sie nicht Ihren Vortrag heute Mittag.«
»Welchen Vortrag halte ich heute Mittag?«
Selbst durch den Telefonhörer war ihr aufgebrachter Seufzer laut und deutlich zu vernehmen. »Rotary Club.«
»Oh, der Vortrag beim Rotary Club«, sagte ich. »Klar erinnere ich mich an den. Einen Augenblick habe ich schon befürchtet, Sie hätten mir den Termine heute Mittag mit zwei Vorträgen belegt.«
»Ich bin hier nicht diejenige, die zwei Termine gleichzeitig macht«, erwiderte sie in scharfem Ton.
Um halb zwölf verließ ich den Campus und fuhr zum Marriott-Hotel. Das Marriott war ein architektonisches Unikum – ein Betonkeil, der aussah wie eine Kreuzung zwischen einer Maya-Pyramide und einem völlig deplatzierten Staudamm – und stand auf einem Hügel über dem Fluss. Townes Osborn, die mich zu dem Vortrag eingeladen hatte, erwartete mich schon im Foyer, als ich das Hotel betrat. Trotz ihres fragwürdigen Geschmacks bei der Auswahl von Gastrednern war Townes, die eine bekannte Werbeagentur leitete, die einzige Frau, die je zur Präsidentin des Rotary Clubs Knoxville gewählt worden war.
Nachdem die Rotarier sich an Orangenhühnchen und Pilaw und irgendeinem Gemüsepotpourri, das bei feinen Leuten gerade in Mode war, gütlich getan hatten, zeigte ich Dias von einem Fall, an dem ich vor einigen Jahren in Nashville gearbeitet hatte. Der Sheriff in Williamson County hatte einen Anruf von einem besorgten Nachbarn bekommen, in dem es um eine wohlhabende Frau mittleren Alters ging, die alleine in einer Villa auf einem fünfzehn Hektar großen Grundstück lebte. Sie war über eine Woche lang nicht die Auffahrt hinunter zum Briefkasten gekommen, sagte der aufmerksame Nachbar, und obwohl ihr Auto vor dem Haus parkte, ging sie nicht ans Telefon. Ein Deputy wurde vorschriftsmäßig losgeschickt, um nach der Frau zu sehen. Sie kam nicht an die Tür, als er läutete, doch die Tür war unverschlossen, also drehte er den Knauf und öffnete sie, um nach der Frau zu rufen. In diesem Augenblick sprangen die drei großen Hunde der Frau – zwei Schäferhunde und ein Collie – an ihm vorbei in den Hof.
Die Frau war nirgends zu sehen, zumindest nicht in erkennbarer menschlicher Gestalt. Die Geschichte hatte sich, wie wir sie hinterher zusammensetzten, wohl folgendermaßen abgespielt: Die Frau, die eine schwere Herzerkrankung hatte, war gestorben, und da nichts anderes da war, hatten die Hunde die Leiche aufgefressen, um am Leben zu bleiben. Meine Studenten und ich hatten das ganze Haus durchkämmt und nur das Schädeldach, die gut abgenagten Knochenschäfte einiger langer Knochen und einen lackierten Zehennagel gefunden – nur einen, den die Hunde aus irgendeinem seltsamen Grund verschmäht hatten. Als die Rotarier kicherten, dachte ich an den Schiffbrüchigen, der gedacht hatte, er würde Albatros essen. Die Hundegeschichte hatte ein bizarres Postskript: Zwei Wochen später rief mich eine Frau von einer Bank in Nashville an und fragte: »Haben Sie in dem Haus zufällig einen Siebentausend-Dollar-Diamantring gefunden?« Ich versicherte ihr, dass dem nicht so gewesen sei. Die Bank hatte den Ring offenbar versichert, und wenn er nicht gefunden wurde, mussten sie die Summe an die Erben der toten Frau auszahlen. »Es gibt noch einen Ort, wo der Ring sein könnte«, sagte ich. Die Frau wurde ganz aufgeregt, als sie das hörte. »Sie wissen ja, dass sie von ihren Hunden aufgefressen wurde«, sagte ich. Sie keuchte auf, offensichtlich war dieses kleine Detail noch nicht zu ihr durchgedrungen. »Falls Sie jemanden dazu bringen, sämtlichen Hundekot
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