Dr. med. Erika Werner
mein künftiger Schwiegersohn, Dozent Doktor Bornholm …«
»Ich komme sofort!« Kommissar Flecken legte auf.
Rahtenau ließ den Hörer sinken. Dann wusch er sich die Hände und das Gesicht mit kaltem Wasser, als könne er etwas Klebriges von sich abschrubben. Mit gesenktem Kopf ging er hinüber in seine Privatstation und betrat das Zimmer Nummer eins.
Bruno Herwarth lag im Bett, den Blick starr an die Decke gerichtet. Er wandte kaum den Kopf, als Rahtenau eintrat. Eine herrische Handbewegung fegten den Wache haltenden Pfleger aus dem Zimmer. Rahtenau blieb vor dem Bett stehen, die Hände in den ausgebeulten Taschen seines weißen Mantels.
»Herr Professor …«, sagte Herwarth leise. »Ich habe mich schrecklich benommen … Ich weiß … Aber meine Helga, mein ganzes Glück …« Tränen überschwemmten das bleiche Gesicht. »Es kann nichts mehr ungeschehen gemacht werden … ich weiß es …«, stammelte er, »aber … aber …«
Rahtenau setzte sich auf die Bettkante und nahm die zitternden Hände Herwarths. Er umklammerte sie wie ein Ertrinkender.
»Wir haben heute beide unsere Töchter geopfert«, sagte Rahtenau dumpf. »Es wird alles seinen gerechten Gang gehen.«
»Er … er war es wirklich?«
»Ich weiß es nicht. Doktor Bornholm ist zu einem Vortrag nach München. Er wird in diesem Augenblick zurückgerufen und kommt mit dem nächsten Flugzeug. War er es – ich werde keine Rücksicht nehmen. Ich verspreche es Ihnen.«
Die Leiche Helga Herwarths wurde als erstes beschlagnahmt. Der versiegelte Sarg wurde aus der Krankenhauskapelle sofort abtransportiert zum Gerichtsmedizinischen Institut. Dort wartete bereits Professor Burgner , der Pathologe. Er hatte, als er das Ausmaß der Katastrophe überblickte, sofort versucht, seinen Freund und Bundesbruder Rahtenau anzurufen. Aber Rahtenau ließ sich verleugnen. Er hatte nichts mehr zu sagen … nur die Tatsachen sollten sprechen.
Bleich, sich zur Ruhe zwingend, sah Erika Werner, wie man den Körper Helga Herwarths in den Polizeileichenwagen lud und wegfuhr. Die Autos der Mordkommission parkten vor dem Eingang der Klinik. Der OP, in dem Helga angeblich starb, war abgeschlossen, das Zimmer, in dem sie angeblich gelegen hatte, wurde untersucht und als Vernehmungsraum hergerichtet. Im ganzen Haus war bekannt, daß Rahtenau selbst die Mordkommission gerufen hatte. An sie, die Ärztin Dr. Werner, die ausgesagt hatte, daß sie das Mädchen mit einer Herzinsuffizienz sterbend aufgenommen hatte, waren noch keinerlei Fragen gestellt worden.
Verzweifelt hatte sie nach einer Möglichkeit gesucht, Alf zu warnen. Sie hatte in München angerufen und den Kongreß verlangt, auf dem Bornholm seinen aufsehenerregenden Vortrag über den ›Vollkommenen Blutaustausch mit physiologischem Blutersatz‹ gehalten hatte. Aber Bornholm war gleich nach dem Vortrag weggefahren. Eine Ärztegruppe hatte ihn zur Besichtigung einiger Unfallkliniken eingeladen. Gerade bei Unfällen war der Blutersatz von lebenserhaltender Wichtigkeit.
Als in ihrem Stationszimmer das Telefon anschlug, zuckte sie zusammen. Mit gespreizten Fingern nahm sie den Hörer ab.
»Bitte auf Zimmer vier!« schnarrte eine Stimme. Erika nickte, als könne der Anrufer es sehen, und legte auf. Sie zog ihren besten, eben aus der Wäscherei gekommenen Ärztekittel an und kämmte sich noch einmal die kurzen Haare. Dann zog sie die Lippen mit einem schwachroten Stift nach und fuhr mit den angefeuchteten Fingern über ihre dunklen Augenbrauen.
In Zimmer vier erwarteten sie drei unbekannte Männer in grauen Anzügen. Sie hatten einige Bogen Papier vor sich liegen und erhoben sich nicht, als sie eintrat. Nur der mittlere stand andeutungsweise auf und zeigte auf einen Stuhl, der mitten im Zimmer stand.
»Bitte!« sagte er abgehackt. »Nehmen Sie Platz. Ich bin Kommissar Flecken von der Mordkommission. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Ihre Aussagen zu Protokoll gegeben werden. Sie können die Aussage verweigern, wenn Sie glauben, dadurch an eigener Person Schaden zu erleiden …«
Erika setzte sich auf den Stuhl. Es war ihr, als glühe der Sitz. Alf, dachte sie. Mein Gott, wenn ich doch vorher mit Alf hätte sprechen können. Es ist doch jetzt alles anders. Man weiß jetzt, woran Helga Herwarth gestorben ist. Ich kann doch nicht bei meiner Diagnose bleiben: Herzinsuffizienz! Was soll ich denn sagen?
Sie starrte Kommissar Flecken an. Ihre Blicke trafen sich, und es gab keinerlei Verbindung zwischen ihnen. Sie wird
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