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Dr. med. Erika Werner

Dr. med. Erika Werner

Titel: Dr. med. Erika Werner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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verwundert auf. Dann fragte er weiter.
    Geschlechtskrankheiten? Keine. Fehlgeburten? Keine. In der Familie Lues, Tb oder andere chronische Erkrankungen. Nein.
    »Sie können sich wieder anziehen«, sagte Dr. Rumholtz und füllte die Rubriken aus, die er abgefragt hatte. Die Anamnese und Untersuchung war beendet. Die Zuchthäuslerin Nummer 12.456 war gesund. Was selten war: Sie brachte keinerlei Klagen vor oder schilderte einen unkontrollierbaren Rheumatismus oder eine Nervenkrankheit. Auch eine leichte Verblödung wurde nicht vorgespielt … Dinge, die Dr. Rumholtz täglich erlebte. Am schlimmsten waren die Hysterischen; sie rissen sich im Ordinationszimmer die Kleider vom Leib, schrien nach einem Mann und bedrängten den Arzt. Dann halfen nur die kräftigen Ohrfeigen der stämmigen Revieraufseherin, um die Rasenden zur Vernunft zu bringen. Sie bekamen dann eine Injektion zur Ruhigstellung, wurden in ihre Zelle zurückgebracht und unterhielten eine Woche lang ihren Arbeitssaal mit Schilderungen über die Wonne, einen Mann zu sehen, wenn's auch bloß ein so dusseliger Doktor war, der Weiblichem gegenüber immun schien.
    Dr. Rumholtz sah Erika Werner zu, wie sie sich ankleidete. Ein merkwürdiges Mädchen, dachte er. Sie ist so ganz anders als die Weiber, die hier hereinkommen, den Rock hochheben und grinsend rufen: »Grüß Gott, Herr Doktor!« Sie sagt die Wahrheit, sie klagt nicht, sie will keine Sonderrechte, sie denkt sich keine Krankheiten aus.
    Er sah ihr nach, wie sie von Katharina Pleuel wieder in Empfang genommen und aus dem Wartezimmer geschoben wurde.
    »Warum ist sie hier?« fragte Dr. Rumholtz. Die Revieraufseherin hob die Schultern.
    »Tötung.«
    »Ach! Fast unglaublich. Einen Mann?«
    »Ein Mädchen. Bei 'ner Abtreibung.«
    »Man sollte es nicht für möglich halten!« Dr. Rumholtz zog den weißen Arztkittel aus. Die Aufseherin nickte.
    »In einer Woche wird sie sich gemausert haben. Dann ist die schöne Larve weg! Uns macht sie nichts vor … das schöne Frauenzimmer –«
    Der Prozeß hatte wenige nachteilige Folgen für Dozent Dr. Alf Bornholm.
    Seine Verwicklung in die unangenehmen Vorkommnisse, wie Professor Rahtenau es bei seiner Aussage vor der Ärztekammer nannte, brachte es mit sich, daß Dr. Bornholm seinen Jahresurlaub vorzeitig nahm und nach Capri fuhr. In den sechs Wochen, die er in der Sonne lag, zur Blauen Grotte ruderte oder mit Schwimmflossen, Gesichtsmaske und Sauerstofflasche auf dem Rücken zwischen den Klippen tauchte und silberne Fische harpunierte, wuchs das Gras des Vergessens über den ›Fall Werner‹. Die schnellebige Zeit hielt sich bei der Tragödie einer unbekannten Volontärärztin nicht auf. Auch in der Klinik selbst sprach nach vier Wochen keiner mehr über den internen Skandal. Die Oberärzte nicht, weil sie den Chef nicht verärgern wollten und an ihre Karriere dachten, die Stations- und Assistenzärzte nicht, weil die Oberärzte es auch nicht taten, die Patienten nicht, weil es längst neue Kranke waren, die in den Betten stöhnten und an nichts anderes dachten als an ihre eigenen Schmerzen.
    Nur der Architekt Bruno Herwarth stand außerhalb aller Abschwächungen und aller Vergeßlichkeit. Er hatte den Tod seiner Helga zwar überwunden mit der fatalistischen Erkenntnis, daß kein Schmerz, keine Anklage und kein Jammern das Geschehene rückgängig machen konnten, aber er glaubte nicht so fest wie das Gericht an die Schuld der kleinen Ärztin Dr. Werner und an die blütenreine Weste des Dozenten Bornholm. Daß es dieser große, kommende, blendende Chirurg und Forscher gewagt hatte, Helga als eine Gelegenheitsdirne hinzustellen, hatte Bruno Herwarth nicht nur verletzt, sondern ihn mit Haß randvoll gefüllt. Was Dr. Bornholm äußerte, war ihm nicht nur unverständlich, sondern mit Helgas Charakter unvereinbar. Es war eine Verleumdung, gegen die sich die Tote nicht mehr wehren konnte. Es war die Beschmutzung eines reinen Bildes, das sich Bruno Herwarth als Andenken an seine Tochter aufgerichtet hatte.
    Das Zimmer Helgas ließ er so eingerichtet, wie sie es an dem Abend verlassen hatte, vor einem Spaziergang, der sie ins Nichts führte. Er stellte alles wieder an seinen Ort … die Bücher, die Schallplatten, die Illustrierten und Modeschriften, die Filmbilder und Modellzeichnungen. Jeden Freitag ließ er von der Putzfrau das Zimmer säubern, als sei Helga nur auf Urlaub und könne jeden Tag zurückkommen. Er baute sich ein Museum auf, in dem er weiter mit seiner

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