Dr. med. Erika Werner
sitzen muß? Und was dann? Wenn sie herauskommt – und ich bin mit Petra verheiratet?
»I ch werde mich nach Australien bewerben!« sagte Dr. Bornholm hart. Petra umklammerte die Segelstange. Ihr schönes, puppenhaftes Gesicht wurde herb und trotzig.
»Willst du mir mit deinen Hirngespinsten Capri versauern? Papa wird dir etwas anderes sagen.«
»Ich pfeife auf deinen Papa!« schrie Bornholm plötzlich. Petra zuckte zusammen. Sie preßte die Lippen zusammen und hißte das Segel.
»Fahren wir zurück!« sagte sie stockend. »Ich werde dir einen eiskalten Whisky bringen … der tut dir gut …«
Im Block III des Frauenzuchthauses streikte Helga Pilkowski. Sie hatte sich hingelegt und hungerte. » Ick mach's wie der Gandhi!« schrie sie Katharina Pleuel an. »Entweder komm ick in die Zweierzelle mit Erika, oder ick hungere mich weg …«
Man ließ sie hungern. Vier Tage lang. Dann war es nicht mehr zu verheimlichen. Eine Meldung ging an den Direktor, einen biederen Oberregierungsrat. Er erschien selbst im Block III und ließ sich Helga Pilkowski vorführen. Sie hatte zehn Pfund abgenommen, aber man sah es nicht.
»Die kann noch mehr zusetzen!« sagte der Oberregierungsrat gemütlich. »Laßt sie weiter ihre Schlankheitskur machen.«
»Bullen!« schrie Helga. Dann kam sie wieder in die Zelle zurück und wurde eingeschlossen.
Am sechsten Tag kapitulierte sie. »Ick seh nich ein, warum ick dem Staat meine Verpflegung sparen soll!« brüllte sie die Blockaufseherin Berta Herkenrath an, als morgens die Zelle aufgeschlossen wurde. »Es jibt ja ooch noch andere Wege.«
Erika Werner hatte sich in ihrer Einzelzelle notdürftig eingelebt. Katharina Pleuel hatte sie im Nähsaal angemeldet. Dort wurden Kohlensäcke genäht und Arbeitsanzüge für die Männergefängnisse. Auch Helga Pilkowski war durch diese Abteilung gelaufen, allerdings nur drei Tage lang. Dann hatte Anna Schurrhart, die Aufseherin des Nähsaales, händeringend um die Wegnahme der dicken Blonden gebettelt.
Schon am ersten Tag hatte Helga Pilkowski mit einer Herrenjacke einen Tanz aufgeführt, dann war sie zu den Tischen mit den Herrenhosen gelaufen und hatte getobt. »Wenn ick 'ne Männerhose sehe, werd ick wild!« hatte sie geschrien. Was dann geschah, wurde in den Gefängnisakten nüchtern mit ›Sie vollführte anstößige Handlungen‹ beschrieben.
Helga kam in Dunkelhaft. Und schon warteten die anderen Abteilungen auf ihre Freilassung, denn wo Helga auftauchte, verflog die Eintönigkeit und die Langeweile des Zuchthausbetriebes.
Zwei Wochen lang sah und hörte Erika Werner nur auf dem täglichen Spaziergang auf dem Hof von ihren Badegenossinnen. Bei dem halbstündlichen Spaziergang um das Rasenstück wurden die Erfahrungen des Tages ausgetauscht, Nachrichten aus anderen Blocks weitergegeben, Adressen an zur Entlassung kommende Frauen ausgetauscht, die die Rückkehr ins Leben erleichtern sollten, Witze machten die Runde, einer schlüpfriger als der andere, Zigaretten wurden gegen Streichhölzer ausgetauscht, und keiner wußte oder fragte, wo sie herkamen, sie waren einfach da …
Erika gliederte sich in diesen Betrieb still und fast wortlos ein. Bald wußte es der ganze Block: Die Neue ist stur. Sie schickt keine Kassiber, sie behauptet, unschuldig zu sein, sie tauscht nicht, sie ärgert nicht die Pleuel oder die Herkenrath, sie tut alles, was man von ihr verlangt, sie ist brav und nicht aufsässig, sie kennt keine Witze aus der siebenten Sohle, sie weint nur ab und zu … mit ihr ist absolut nichts anzufangen. Eine Träne von Weib!
Die anderen Frauen sonderten sich von ihr ab. Wer die halbe Stunde an ihrer Seite spazieren gehen mußte, empfand es als Strafe. Erika sprach nicht. Mit gesenktem Kopf drehte sie ihre Luftschnapper-Runden um das Rasenbeet, die Hände auf dem Rücken, stumm und starr wie eine aufgezogene Puppe, die gleichförmig ihren vorgeschriebenen Weg abrollt.
Zweimal besuchte sie noch der Rechtsanwalt, der ihre Verteidigung übernommen hatte und dem nichts anderes übrig geblieben war, als nach Erikas Geständnis das Gericht um Milde zu bitten, immer wieder versuchte er, hinter das Geheimnis zu kommen, das Erikas Lippen verschlossen.
»Ich weiß, daß Sie hier unschuldig sitzen!« sagte der Anwalt. »Es ist Irrsinn, was Sie tun! Sie haben jetzt knapp drei Wochen hinter sich … aber vor Ihnen liegen drei Jahre! Wissen Sie, was das bedeutet?!«
»Ich fühle mich hier wohl«, sagte Erika ruhig. »Hier habe ich endlich Ruhe.
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