Dr. med. Erika Werner
war.
Der Oberarm war dort, wo er mit dem Bademantelgürtel abgebunden war, stark angeschwollen und begann sich bläulich zu färben.
»Wie lange liegt sie denn schon hier?« fragte Erika laut. Katharina Pleuel sah über den Körper hinweg gegen die weiße Wand.
»Sicherlich eine halbe Stunde.«
»Wissen Sie, was das bedeutet? Drei Venennähte muß ich jetzt machen. Warum haben Sie mich nicht früher gerufen?«
»Es ist gegen die Bestimmung!« sagte die Pleuel dumpf.
»Dann allerdings brauche ich gar nicht weiterzumachen … dann lassen wir das arme Ding einfach sterben … getreu den Bestimmungen, daß ich nicht helfen darf!«
Erika Werner erhob sich von dem Schemel und begann, ihren weißen Kittel aufzuknöpfen. Die Revieraufseherin hielt ihren Arm fest, ihr Gesicht war vor Angst verzerrt.
»Machen Sie weiter … bitte …«
»Wenn es zu spät sein sollte …«
Der Rest des Satzes blieb unausgesprochen. Aber die beiden Aufseherinnen wußten, wie er zu Ende ging. Mit verkniffenen Gesichtern sahen sie zu, wie Erika die durchgeschnittenen Venen nähte. Es war eine schwere, langsame und mit feinstem Fingerspitzengefühl ausgeführte Arbeit. Kurz vor der letzten Naht blickte Erika auf.
»Blutkonserven haben wir sicherlich nicht hier?«
»Nein. Wenn wir sie brauchen, lassen wir sie aus dem Krankenhaus kommen.«
»Dazu ist es jetzt zu spät. Wie ist es mit physiologischer Kochsalzlösung?«
»Die haben wir.«
»Dann bereiten Sie zwei Infusionen vor. Aber schnell. Stehen Sie nicht hier herum …«
Die Revieraufseherin zögerte. Eine Strafgefangene, die sie anbrüllte … Sie holte tief Luft, dann rannte sie davon, mit hochrotem Kopf, verzerrtem Gesicht und einer ohnmächtigen Wut unter dem Herzen.
Stumm hängte sie die Kochsalzlösungsflaschen in die Eisenständer und fuhr sie zum OP-Tisch. Sie schloß die Hohlnadel an die Schläuche an und legte sie auf sterile Tücher. Katharina Pleuel stand noch immer neben Erika und hielt ein Instrumentenbrett neben sie hin, Berta Herkenrath klammerte sich immer noch an den Bademantelgürtel.
»Lockern Sie langsam die Abschnürung«, sagte Erika laut, Berta Herkenrath zuckte zusammen und löste den Bademantelgürtel. Sofort begann aus dem zerfetzten Arm das Blut wieder hervorzuquellen, aber die genähte Vene war dicht. Langsam, ganz schwach, pulste das Blut durch sie hindurch … als Erika die Finger auf sie legte, spürte sie kaum den Rhythmus eines Herzschlages.
»Infusion …« Sie sah empor. Die Ständer mit den Flaschen standen bereit. Die Revieraufseherin hatte die beiden Oberschenkel des Mädchens bereits freigelegt, gewaschen und mit Alkohol abgerieben.
Als die Kochsalzinfusionen in beiden Oberschenkeln angebracht worden waren, stand Erika vom Schemel auf. Sie war müde, ein Druck in den Schläfen erzeugte das Gefühl, als liege der Kopf zwischen den Backen eines Schraubstockes. Taumelnd ging sie zum Waschbecken und tauchte die Hände in das kalte Wasser.
Katharina Pleuel folgte ihr wie ein Schatten. »Wird sie weiterleben?« fragte sie leise.
»Ich weiß nicht –«
»Aber Sie sind doch Ärztin?«
»Ich bin Strafgefangene Nummer 12.456.«
»Und ein arrogantes Aas dazu!« schrie die Pleuel. »Gott verdammich noch mal … bilden Sie sich bloß nichts ein, weil wir Sie gerufen haben!«
Erika wandte sich, stieß Katharina Pleuel mit dem Ellenbogen zur Seite und ging zurück zum OP-Tisch. Sie beugte sich über den kaum atmenden Körper Lore Heimbergs und tastete mit dem Stethoskop das Herz ab. Es war müde, flatterte und hatte keinen Rhythmus mehr.
»Haben Sie Coramin hier?«
»I ch glaube …«
»Vom Glauben haben wir nichts. Sehen Sie nach!«
Mit zusammengebissenen Zähnen ging die Revierbeamtin zum Medikamentenschrank. Sie holte die Ampullenkartons und Flaschen hervor und warf sie fast auf den nebenstehenden Tisch.
»Wir haben alles hier: Coramin, Cormed, Cardiazol, Suprarenin …«
»Wunderbar! Haben Sie eine lange dünne Nadel?«
»Wie nach Wunsch!« schrie die Revierbeamtin.
»Dann schnell!«
Mit großen Augen sahen die Aufseherinnen zu, wie Erika Werner eine Ampulle mit 1 ccm Suprarenin aufzog, die lange, dünne Nadel auf die Spritze steckte und sich dann über den Brustkorb des Mädchens beugte.
Nach einem kurzen Tasten stach sie dann die Nadel im 4. I.C.R. links neben dem Sternalrand vier Zentimeter tief ein, saugte mit der Spritze Blut ab aus dem rechten Ventrikel und injizierte dann das Kreislaufmittel.
»Was machen Sie denn da?«
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