Dr. med. Erika Werner
werden konnte. Aus Gründen des Strafvollzuges sei allerdings eine ganze Verlegung ins Krankenrevier noch nicht zulässig. Erst nach zwei Jahren abgetragener Strafe.
Das bedeutete, daß Erika Werner jeden Morgen zum Revier geführt und um 6 Uhr abends wieder abgeholt wurde, um in ihrer kleinen Zelle in Block III zu schlafen.
Erika war es gleichgültig, ob sie in ihrer alten Zelle weiterschlief und abends von Katharina Pleuel mit den Worten empfangen wurde:
»Guten Abend, gnädige Frau. Das Diner wird sofort serviert.«
Wortlos holte sie sich dann ihre Suppe ab, ihr Stück Brot, die ab und zu ranzige Margarine, die wässrige Wurst, die Alleskleber-Sülze. Ihre Schweigsamkeit brachte die Pleuel zur Weißglut, die stumme Duldung jeder Schikane füllte in Katharina einen Vulkan auf, der in gehässigen Worten explodierte.
Einmal in der Woche bekam Erika Post.
Es waren nur spärliche Lebenszeichen aus der lauten Welt. Der Rechtsanwalt berichtete von seinen Bemühungen, in die Revision zu gehen. Alle Suche nach neuen Tatsachen scheiterten an einer Mauer des Schweigens, die Erika selbst aufgebaut hatte.
Einmal schrieb der Vater des toten Mädchens, der Architekt Bruno Herwarth. Er beschwor sie, die Wahrheit zu sagen. Er nannte Alf Bornholm einen Lumpen, einen Blender, einen ehrlosen Lümmel. Erika zerriß den Brief, ohne ihn zu Ende gelesen zu haben.
Und dann schrieb Alf Bornholm selbst. Auf dickem Büttenpapier, handgeschöpft mit Wasserzeichen. In der linken oberen Ecke in diskreter Grauschrift: Dozent Dr. med. habil. Alf Bornholm. Erster Oberarzt der Ersten Chirurgischen Klinik.
»Mein Liebstes«, schrieb er,
»I mmer denke ich an Dich. Das ist keine lapidare Redensart, sondern es ist für mich zur Gewohnheit geworden, wenn ich allein bin, mich mit Dir zu unterhalten, als säßest Du vor mir im Sessel, hübsch, glücklich, in den Fingern das Glas mit dem perlenden Sekt … so wie damals auf unserer Hütte, als Du mir ins Ohr flüstertest: ›Ich kann mir die Welt ohne Dich nicht mehr denken …‹
Ich gestehe es: Ich kann es auch nicht mehr. Wenn ich sehe, wieviel drei Jahre sind, könnte ich verzweifeln. Ich werde alles daran setzen, Dich früher frei zu bekommen. Ich habe schon ein Gnadengesuch an den Präsidenten eingereicht. Auch Professor Rahtenau hat es unterschrieben. Vielleicht erlassen sie Dir zwei Jahre … und nach einem Jahr wird dann alles vergessen sein …
Ich bin beschämt vor so viel Liebe … Kann ein Mensch wirklich so viel erdulden, nur weil er liebt? Es ist fast unbegreiflich …«
Erika ließ den Brief sinken, den sie auf ihrem Klappbett liegend gelesen hatte. Ihre Augen starrten an die hohe schmutzige Decke ihrer Zelle.
»Ich kann es, Alf …« sagte sie laut. »Was wissen wir, was man aus Liebe alles kann?!«
Über den Flur klapperten die Schritte Berta Herkenraths. Dann erlosch das Licht in allen Zellen. Schlafen! Ruhe!
Dann klappten die Kontrollklappen an den Türen auf und zu … die Herkenrath sah nach, ob auch alles im Bett lag.
Erika Werner lag mit weit offenen Augen und starrte an die Decke. Sie brauchte kein Licht mehr, um den Brief noch einmal zu lesen. Sie kannte die Worte Alfs bereits auswendig; sie sprach sie vor sich hin, und es war ihr, als sei es seine Stimme, die zärtlich in ihr Ohr flüsterte, und alle Sorgen, alle Zweifel schwanden vor dem seligen Wissen, daß er auf sie wartete.
Die Klappe an der Zellentür schlug herunter. Erika drehte sich nicht herum. Sie wußte, daß jetzt die Augen Berta Herkenraths durch die Dunkelheit starrten und ihre Blicke über das Bett glitten.
»Noch Wünsche?« fragte sie leise. Erika zog verblüfft die Augenbrauen hoch. Es war das erstemal, daß die Herkenrath sie so fragte.
»Nein!« antwortete sie ebenso leise.
Die Klappe knallte wieder zu. Die Schritte entfernten sich.
Die Bewerbungsunterlagen aus Australien waren eingetroffen. Dr. Alf Bornholm hatte sie durchstudiert … es waren so günstige Angebote, daß es eigentlich Dummheit war, zu zögern.
Man versprach ihm die Chefarztstelle einer großen Klinik, ein voll eingerichtetes, modernes Labor mit allen Forschungsmitteln, eine Neubauvilla am Stadtrand, einen Wagen und jährlich zwei Monate Europaurlaub.
Petra Rahtenau war nach der Rückkehr aus Capri sofort zu ihrem Vater gegangen und hatte ihm den Plan Alfs vorgelegt.
»Australien?« hatte Professor Rahtenau gesagt. »Unmöglich. Ich lasse dich nicht in diese Ungewißheit gehen.«
»Er ist fest entschlossen,
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