Dr. med. Erika Werner
Papa.«
»Er wird die Wahl haben … Australien oder dich!«
»Das kannst du ihm sagen … Aber wenn er sich entscheidet für Australien …« Petra senkte den Kopf. »Ich liebe ihn, Paps … ich werde mitgehen müssen …«
Professor Rahtenau schwieg. Er sah nur seine Tochter an und wandte sich dann ab, um nicht in die Versuchung zu kommen, doch zu reden. Petra war sein einziges Kind. Sie war spät gekommen, als Rahtenau schon in einem Alter war, in dem andere Väter mit ihren Töchtern per Arm Spazierengehen. Aber gerade darum hing er mit einer fast irrsinnigen Liebe an ihr. Sie war die Jugend, die in sein Alter hineinleuchtete, und nichts war Rahtenau wichtiger als das Glück seiner Tochter. Er sah, daß Petra in Alf Bornholm so etwas wie die Erfüllung ihres Lebens sah, und er wußte, daß mit dem Tage einer Verbindung mit ihm das Unglück über sie kommen würde.
Er wußte es seit einigen Tagen. Anonym war ihm ein Brief Helga Herwarths zugeschickt worden, ein kurzes Schreiben ohne Anrede, vielleicht ein Brief an eine Freundin, vielleicht auch eine verzweifelte Rückendeckung, aus einer Ahnung geschrieben, aus einer Angst geboren, die Helga in den letzten Tagen ihres Lebens begleitet haben mußte.
»Alf ist der Vater meines Kindes«, hatte sie geschrieben. »Und jetzt stößt er mich weg. Ich habe seit Wochen nichts mehr von ihm gehört. Immer redet er sich heraus mit Arbeit, Vorträgen, Forschungen. Ich bin ganz verzweifelt. Neulich sagte mir jemand, er wolle die Tochter seines Chefs heiraten … wenn es stimmt, wird es einen Skandal geben. Ich lasse mir den Vater meines Kindes nicht nehmen! Ich bin keine Dirne. Ich habe Alf wahrhaftig geliebt und ihm und seinen Beteuerungen geglaubt …«
Professor Rahtenau hatte diesen Brief in seinen Panzerschrank eingeschlossen. Es war ein Wertstück. Und es konnte ein Beweis sein. Der ungeheure Verdacht, der Professor Rahtenau beim Lesen dieses Briefes gekommen war, hatte ihn tagelang unsicher und tatenlos gemacht. Er hatte seinen zukünftigen Schwiegersohn beobachtet und sich gewundert, wie losgelöst von allen Problemen, wie fröhlich und unbeschwert er sein Leben weiterführte, als belaste ihn nicht der Gedanke, daß ein Mädchen und ein Kind, sein Kind, unter Umständen gestorben waren, die mehr als merkwürdig waren.
Was ist er für ein Mensch, hatte Rahtenau gegrübelt. Er ist ein genialer Mediziner, zugegeben. Er operiert mit einer Brillanz und einem Mut, der bewundert werden muß. Seine Blutforschungen rissen ein ganz neues Gebiet der Medizin auf, eine Zukunft, die noch zu schwindelerregend war, um sie voll zu begreifen und damit anzuerkennen. Er besaß einen Ehrgeiz, der fast pathologisch war … für ihn gab es nur den Aufstieg, den Drang zur Sonne, den Kampf um die Spitze … ihm opferte er alles. Auch Petra, wenn es sein mußte.
»Er wird nicht nach Australien gehen!« sagte Rahtenau zu Petra. Er drehte ihr dabei den Rücken zu, damit sie nicht sah, wie es in seinem Gesicht zuckte, »ich werde ihn überzeugen, daß es besser ist, hier zu bleiben.«
»Wenn du das kannst, Paps …« Petras Stimme war so voll Freude und Glück, daß Rahtenau den Kopf senkte.
»Ich habe Argumente«, sagte er heiser.
Kurz darauf fuhr er in die Klinik. Dr. Bornholm war bereits im OP I und machte eine Chefoperation. Eine Cholezystogastroanastomose als einzigen Ausweg bei einem Pankreaskopf-Carzinom.
Rahtenau wusch sich schlüpfte in den sterilen Mantel und stellte sich hinter Bornholm. Über die Schulter hinweg sah er auf die schnell und sicher arbeitenden Hände.
Die künstliche Verbindung zwischen Magen und Gallenblase war fast vollendet. Einige Zeit war geschenkt worden, mehr nicht. Das Carzinom selbst war inoperabel.
»Was ist mit Australien?« fragte Rahtenau leise neben dem Ohr Bornholms. Der Kopf des Chirurgen flog herum. Dann wandte er sich wieder dem geöffneten Leib zu. Die letzten Fäden wurden durchgezogen, die Anastomose verknüpft.
»Ich habe heute morgen unterschrieben!« sagte er hart.
»Du wirst den Vertrag rückgängig machen …«
»Das geht nicht.« Dr. Bornholm trat vom OP-Tisch zurück und überließ es dem 1. Assistenten, die Operationswunde zu schließen. Die Anastomose war gelungen, aber das Leben des Patienten war nur noch nach Wochen zu berechnen. Er hatte eine Erleichterung bekommen … sein Sterben war langsamer und friedlicher geworden. Mehr konnte auch Bornholm nicht tun.
Er zog seine dünnen Gummihandschuhe ab, warf sie in einen Eimer,
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