Dr. med. Erika Werner
band sich Kopftuch und Mundschutz ab und wandte sich dem großen Waschbecken zu. Professor Rahtenau folgte ihm und stellte sich an die gekachelte Wand, während sich Bornholm wusch.
»Warum geht es nicht?«
»I ch habe keine Begründung, meine Unterschrift zurückzuziehen.«
»Die Begründung werde ich geben!«
»Du?« Bornholm schielte zu seinem künftigen Schwiegervater. »Im übrigen habe ich meinen Entschluß sehr überlegt. Es eröffnen sich mir Möglichkeiten.«
»Man verläßt nicht so abrupt seinen Arbeitsplatz und seine begonnenen Forschungen.« Professor Rahtenau atmete tief durch, ehe er weitersprach. »Es sieht fast wie eine Flucht aus.«
»Flucht? Wovor?!« Das Gesicht Bornholms wurde kantig. Er hielt die Hände unter den Heißluftapparat und ließ sie trocknen.
»Vielleicht vor der Vergangenheit.«
Dr. Bornholm trat von dem Heißlufttrockner zurück und steckte die Hände in die Taschen seines weißen Kittels. Sein Gesicht war gerötet.
»Wenn dir etwas an meiner Vergangenheit mißfällt, so sage es bitte! ich bin bereit, dir Rede und Antwort zu stehen. Bitte, was hast du mir vorzuwerfen?!«
Professor Rahtenau senkte den Kopf. Er hat mich geschlagen, dachte er. Oder soll ich meinen größten Triumph ausspielen, diesen letzten Brief der toten Helga Herwarth mit den Anklagen, die unwiderlegbar sind? Soll ich jetzt schon alles aus der Hand geben?
»Nichts«, sagte Rahtenau langsam. »Ich habe dir nichts vorzuwerfen. Es sei denn –«
»Was?« In die Augen Dr. Bornholms trat ein Funkeln. Angst war in ihnen und eine ungeheure Spannung.
»I ch habe in meinem Panzerschrank etwas liegen … einen Brief … Ich bekam ihn kürzlich …«
Bornholm war es, als gerinne sein Blut. Das Herz hatte Mühe, den zähen Brei durch die Adern zu pumpen.
»Kann ich dieses Schreiben sehen?« fragte er heiser.
»Nein!«
»Aber –«
»Nein!« Professor Rahtenau wandte sich ab. »Es genügt, daß ein Brief vorhanden ist, der deine Abreise nach Australien verhindert. Im Interesse Petras!«
»Ich lasse mich nicht erpressen!« schrie Bornholm.
Vom OP-Tisch starrten die weiß vermummten Gesichter zu ihnen herüber. Sie wandten sich sofort wieder dem Patienten zu, als Bornholm sich zu ihnen umdrehte. Professor Rahtenau ging langsam zum Ausgang. Bevor er die große Glasschiebetür aufschob, sah er noch einmal zurück. Bornholm stand mitten im Raum. Sein Gesicht war weiß und wie zerklüftet.
»Ich werde in deinem Namen den Vertrag rückgängig machen«, sagte er so laut, daß es nur Bornholm verstand, »ich fahre sofort zum Konsulat. Ein Arzt flüchtet nicht … am wenigstens vor sich selbst.«
An diesem Tage operierte Dr. Bornholm nicht mehr. Er überließ das Krankenhaus seinem 1. Oberarzt und fuhr in das Gebirge, zu seiner einsamen Hütte unter dem Himmel. Dem Adlernest.
Dort saß er draußen auf der Bank, bis die Nacht an den Felsen herabkroch.
Er trank einen Whisky nach dem anderen, aber er merkte den Alkohol nicht. Den Kopf in die Hände gestützt, starrte er hinab ins Tal und auf das winzige Dorf, von dem die Lichter heraufflimmerten wie Glühwürmchen, die zwischen den Felsen schwirren. Welch ein Brief mag es sein, grübelte er. Wer hat ihn geschrieben? Was steht in ihm? Wenn Rahtenau ihn in seinem Panzerschrank verschließt, muß er ungeheuer wertvoll für ihn sein.
Wieder griff Angst an sein Herz und überzog den ganzen Körper. Er kam sich elend vor. Er hatte sich von Rahtenau einschüchtern lassen. Statt zu verhindern, daß sein Vertrag rückgängig gemacht wurde, war er auf seine Hütte geflüchtet, weg von den Menschen, nach einem Ausweg und einer Erklärung suchend, die er nicht fand, weil sein Leben plötzlich ganz in der Hand Rahtenaus lag.
Bornholm überdachte alle Möglichkeiten, aber nirgends war eine Lücke, die ihn retten konnte. Nur eines beruhigte ihn: Solange Erika Werner schwieg und aus Liebe zu ihm die Schuld auf sich nahm, war er unangreifbar.
Er vertrank die ganze Nacht und fuhr am frühen Morgen durch den Bergnebel zurück in die Stadt. In seiner Wohnung badete er sich eiskalt, nahm ein paar Chlorophyll-Tabletten, die den Alkoholgeruch im Mund absorbierten und rief dann die Zuchthausverwaltung an.
»Hier Bornholm«, sagte er, als sich der Zuchthausdirektor meldete. »Ich wurde an Sie verwiesen. Es geht um eine Sondergenehmigung … um eine Besuchserlaubnis außer der Reihe … Ich möchte Sie bitten, mir eine kurze Rücksprache mit Fräulein Erika Werner zu gewähren. Es geht um
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