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Dr. med. Erika Werner

Dr. med. Erika Werner

Titel: Dr. med. Erika Werner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Warum hat sie es überhaupt getan?«
    »Sie sagt, weil sie keine Schuld hat. Als sie das Kind aussetzte, war sie aus Verzweiflung wie von Sinnen … Heute träumt sie von der Kleinen, hört im Schlaf das Kindergeschrei und singt Schlaflieder.«
    Erika senkte den Kopf. »Ich kenne dieses Gefühl«, sagte sie leise. »Man klagt sogar Gott an … und er schweigt. Und man sehnt sich nach der Dunkelheit des Vergessens … dafür ist der Schlaf nicht lang und tief genug, und das morgendliche Erwachen ist immer wieder eine neue Qual. Man will vor sich selbst entfliehen … für immer! Man stellt es sich herrlich vor, weg von dieser Erde zu sein. Ruhe zu haben!«
    »Sie reden, als ob Sie morgen mit aufgeschnittenen Pulsen eingeliefert werden würden …«
    »Wäre das so unsinnig?«
    Dr. Rumholtz beugte sich zu ihr vor. Einen Augenblick war er versucht, seine Hände auf ihre Knie zu legen. Er hatte ihre Akte gelesen. Gleich, nachdem er im Revier die Verbände der kleinen Lore Heimberg gewechselt und den Bericht der Revierbeamtin mit fassungslosem Staunen gehört hatte, ließ er sich die Papiere aus der Verwaltung herüberschicken und las das Schicksal der ehemaligen Ärztin Dr. Erika Werner. Es war ein kurzes Leben, das in den wenigen Papieren stand. In einer Nacht, die völlig sinnlos war, endete es. Das, was jetzt in der Zelle im Block III vegetierte, war nicht mehr die Erika Werner, die Dr. Rumholtz fast greifbar vor sich gesehen hatte: Ein jugendfrisches, lebensfrohes Mädchen mit großen Idealen und einer erfolgversprechenden Karriere. Und dann kam diese Nacht, eine unbegreifliche Nacht, in der sie alles wegwarf, was vorher ihr Ziel gewesen war. Warum? Was hatte sie dazu getrieben? Verbarg sich dahinter ein bisher unaufgestöbertes Geheimnis? Verschwieg sie etwas?
    Mit diesen Fragen war Dr. Rumholtz in die Zelle gekommen, nachdem er Katharina Pleuel angewiesen hatte, Erika nicht zu wecken.
    »Fängt schon an, die Sonderwurscht!« sagte sie zu Berta Herkenrath. »Zuchthaus is Zuchthaus … aber och hier sind die Feinen wat Besseres!«
    »Sie fühlen sich unschuldig?« fragte Dr. Rumholtz.
    Erika sah ihn schräg von unten an. »Es steht alles in den Akten, Herr Doktor.«
    »Dort stehen Fakten! Aber hinter allen Taten, Daten und Urteilen steht doch ein Mensch! Und ein Mensch ist nicht nur eine Gesetzesübertretung, wenn er hier eingeliefert wird, sondern hinter seinem Vergehen muß man irgendwie den Sinn suchen … hinter jedem Verbrechen steht ein seelischer Trieb, und wenn es nur Habgier ist oder Geltungssucht oder ein Rachekomplex. Bei Ihnen ist das alles nicht … Sie sitzen hier in Ihrer Zelle, haben einen Menschen getötet, und keiner weiß, warum! Sie haben kein Geld dafür genommen, Sie hatten keinen Nutzen davon, Sie hatten überhaupt kein Motiv.«
    »Vielleicht Mitleid?!«
    »Das soll ich Ihnen glauben? Sie, die so hoch von der ärztlichen Ethik dachten, sollten plötzlich aus Mitleid einen Mord begehen?! Das ist sinnlos!«
    »Das Leben an sich ist sinnlos. Haben Sie das noch nie bemerkt?«
    »Trotzdem ist es schön.«
    Dr. Rumholtz lehnte sich zurück, hob die Kaffeemütze von der Kanne und goß die Tasse voll. Erikas Kopf fuhr hoch … sie schnupperte wie ein Hund vor einem Fleischerladen. Dr. Rumholtz lächelte schwach.
    »Ja, Sie riechen richtig: Bohnenkaffee! Auf meinen Befehl. Die Pleuel hat zwar gemeutert, aber ich habe ihn auf dem Revier aufgießen lassen und selbst herübergebracht.« Er reichte ihr die Tasse hinüber. »Kommen Sie … trinken Sie erst einmal. Dann sieht es im Magen anders aus … und mit dem Wohlgefühl im Magen ändert sich auch die Weltanschauung. Bei uns im kleinen. In der hohen Politik im großen. Sattsein verändert den Charakter … das haben wir Deutsche nach dem Zweiten Weltkrieg der Welt vorexerziert. Wenn Ideale im Fett schwimmen, benehmen sie sich wie schwere Klöße … sie liegen schwer im Magen, und man stößt auf.«
    »Sie können ja auch sarkastisch sein, Herr Doktor?!«
    Gehorsam nahm Erika die Tasse und trank sie in kleinen, schnellen Zügen leer. Seit drei Monaten die erste Tasse Bohnenkaffee. Sie griff zu, als Dr. Rumholtz ihr den Teller mit den belegten Broten hinüberreichte. Es war gute, schmackhafte Dauerwurst und fetter Schweizer Käse, nicht die nach Talg schmeckende Leberwurst oder die schwammige Sülze, die sie sonst bekamen.
    Durch die offene Tür sah Katharina Pleuel herein. Als sie Erika essen sah, bellte sie:
    »Schmeckt's?! Kaviar war nicht

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