Dr. med. Erika Werner
Sie belästigt! Sie sollten einen Psychiater aufsuchen! Was reden Sie da überhaupt für einen Unsinn zusammen? Was geht es mich an, was Sie denken? So traurig es ist – Fräulein Werner wurde verurteilt. Und daß ich hier bin und sie sprechen will, sollte beweisen, daß ich keinen Groll gegen sie hege, obwohl sie auch mich in eine fatale Situation gebracht hatte.« Bornholm drehte Dr. Rumholtz den Rücken zu und blies den Rauch seiner Zigarette gegen die Decke. »Und nun befreien Sie mich von Ihrer Gegenwart. Es wäre peinlich, einen Zuchthausbeamten zum Schutze meiner Persönlichkeit zu rufen.«
Dr. Rumholtz antwortete nicht. Er verließ leise das Zimmer. Was er erreichen wollte, hatte er geschafft: Er hatte Mißtrauen ausgesät, Angst, Zweifel und eine Gegenwehr, die vielleicht neue Anhaltspunkte geben konnte. Der Unsichere macht Fehler, die ihn verraten … darauf hoffte Dr. Rumholtz.
Bornholm hatte den Weggang seines neuen Gegners nicht gehört. Auch das erneute Aufgehen der Tür vernahm er nicht. Seine Gedanken jagten sich. Noch einmal rief er sich alles ins Gedächtnis zurück … die Anklage, die Verhandlung, das Geständnis Erikas, die moralische Diffamierung der toten Helga Herwarth, das Abstreiten der Vaterschaft … nur eine Lücke blieb, die gefährlich werden konnte und die bisher niemand erklären konnte: Wie war Helga Herwarth nachts in die Klinik gekommen? Die Pfortenschwester hatte geschworen, nicht geschlafen zu haben. Der Eid einer Ordensfrau aber war ohne Zweifel.
»I ch möchte von Ihrer Gegenwart befreit werden!« sagte Bornholm hart, im Glauben, Dr. Rumholtz sei noch im Zimmer.
»Alf –«, sagte eine leise, ganz schüchterne Stimme.
Dr. Bornholm fuhr herum. Die Zigarette fiel aus seinen Fingern. An der Tür stand Erika, in einem weißen Arztkittel. Aus der Tasche sahen die Kunststoffschläuche des Membranstethoskopes heraus. Bornholm wischte sich verblüfft über die Augen.
»Erika … ja, träume ich denn? Ich denke … ich … Liebes …« Er streckte beide Hände nach ihr aus. Sie kam ein paar Schritte auf ihn zu, aber um den Tisch herum, der sie trennte, kam sie nicht. Er bildete die Grenze. Er verkörperte das Gesetz, die Abschneidung von der Außenwelt. Erst jetzt bemerkte Bornholm die rundliche Beamtin, die auf einem Stuhl in der Ecke Platz genommen hatte. Sie starrte Bornholm an, als könnte er jeden Augenblick ein Ausbrecherwerkzeug in die Hände Erikas schmuggeln.
»Du … du siehst gut aus …«, sagte Bornholm befangen. Der weiße Arztkittel irritierte ihn. Der Zusammenhang zwischen Dr. Rumholtz und Erika Werner war plötzlich sichtbar. Erika war aus dem Zellenbau in das Krankenrevier versetzt worden. Bornholm erkannte sofort die Gefährlichkeit, die in diesem Wechsel für ihn verborgen lag.
»Mir geht es ganz gut.« Erika setzte sich auf den Stuhl, der hinter dem Tisch stand. Mit großen Augen sah sie zu Bornholm empor. Er ist unverändert, dachte sie. Elegant, männlich, selbstsicher. Der große Forscher. Der Mann, in den sich eine Frau verlieben muß, ob sie es will oder nicht. Nur etwas blaß sieht er aus. Überarbeitet. Und seine Augen flackern. Sie faltete die Hände in ihrem Schoß und lächelte schwach.
»Es ist schön, daß du gekommen bist.«
Bornholm schluckte. Er blieb stehen.
»Ich wollte dir nur sagen«, seine Stimme war belegt vor innerer Erregung, »daß ich dich liebe. Und daß du es nie vergessen sollst …«
»Ich habe es nie vergessen, Alf.«
»Nie?« In dieser Frage lag alles, was ihn bedrückte. Sie verstand und schüttelte den Kopf.
»Nie!«
»Du arbeitest jetzt im Zuchthausrevier? Das ist schön.«
»Dr. Rumholtz hat es erreicht. Ich bin ihm sehr dankbar dafür.«
Bornholm nickte. Mit einem kurzen Blick sah er zur Seite auf die stumme Beamtin. Dann setzte er sich und legte seine Hände auf die kalten, schmalen Finger Erikas. Er spürte, wie sie zitterten, und er streichelte sie und drückte sie, als wolle er lautlos sagen: Es wird alles gut werden. Nur Mut wie bisher.
»Ich bin dabei, die Blutforschungen in einem größeren Maße auszubauen«, sagte er stockend. »Ich weiß nicht, ob du es erfahren hast.«
»Gratuliere.« Sie lächelte wieder, und plötzlich hatte sie Tränen in den Augen. Bornholm senkte den Kopf.
»Ich verdanke es ganz allein dir, Liebes.« Er umfaßte wieder ihre Hände. Mit mißtrauischem Blick sah die Beamtin von ihrem Stuhl aus zu. »Alles, was in Zukunft geschehen wird, liegt ganz allein in deinen Händen. Daran
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