Dr. med. Erika Werner
Dachrinne in die weit aufgerissenen Augen der Mörderin. Dann hob sie beide Fäuste und schlug mitten in dieses schwitzende Gesicht hinein. Immer und immer wieder, bis die Hände den Halt verloren und Friedel Bartnow mit einem schrillen Schrei vom Dach hinab auf das Pflaster des Hofes stürzte, ihr Aufprall wurde übertönt von dem neuen Geheul der Sirenen. Von der Hauptwache her kamen zehn Zuchthausbeamte, um alle Durchgänge abzusperren.
Monika Bergner schnellte zur Mauer an die Seite Maria Jüttners.
»Los! Herunterspringen. Was kann jetzt noch passieren?«
Maria Jüttner schwang sich auf die Mauer. Sie überwand ihre Angst, warf die Beine auf die andere Seite und wollte in die Dunkelheit hinabspringen.
In diesem Augenblick bog ein Auto mit abgeblendeten Scheinwerfern um die Ecke und raste schleudernd die Straße herunter, bog um die nächste Ecke und verschwand. Mit beiden Fäusten trommelte Monika Bergner gegen die Mauer. Ihre Stimme überschlug sich. Die Verzweiflung zerbrach sie völlig.
»Das waren sie … Franz und Willi … Feige Bande … feige Hunde! Saukerle!« schrie sie.
Sie lehnte sich gegen die Mauer und drückte das Gesicht gegen die rauhen Ziegelsteine. Der grelle Arm des Scheinwerfers erfaßte sie auf seinem Rückweg … es war ihr gleichgültig.
»Holt mich, ihr Polypen!« schrie sie grell. Dann brach sie zusammen. Maria Jüttner sprang in das Licht des Scheinwerfers und hob die schlaffe Gestalt auf. Im Hof 3 hörte sie viele Schritte, eine laute Stimme: »Hier liegt ja noch eine!« und das Kommando: »Runterkommen! Aber schnell! Oder es wird geschossen!«
Plötzlich waren auch Leitern da. Vier Polizisten kletterten auf das Dach der Wäscherei und rannten auf die beiden Frauen zu. Unten wurde auf einer Bahre die Mörderin Friedel Bartnow weggetragen. Maria Jüttner konnte nicht sehen, ob sie nur verletzt oder tot war … sie ordnete sich die Haare, ehe sie die Leiter hinabstieg und klopfte einem der Polizisten auf die Hand, als er sie an die Schulter faßte. Unten stand Katharina Pleuel, breitbeinig, die Arme in die Hüften gestemmt.
»Wie konnte gnädige Frau so etwas tun?« empfing sie Maria Jüttner mit schriller Stimme. Die elegante Betrügerin musterte die Pleuel wie ein keifendes Marktweib, die einen stinkenden Fisch als frischgefangen anbietet. Dann sagte sie etwas, was aus ihrem Mund, der sogar zart rosa geschminkt war (niemand wußte, woher sie den Lippenstift bekommen hatte), völlig artfremd klang:
»Mist!«
Dann ging sie stolz den Polizisten nach durch die kleine Pforte, die ihnen die wertvolle Zeit geraubt hatte, weil sie nicht verschlossen gewesen war.
Völlig gebrochen schleppte man Monika Bergner ab. Ihr war alles gleichgültig. Taumelnd ging sie mit den Polizisten zurück zum Block III. Dort hatte man Berta Herkenrath in den Hauptwachraum gebracht. Sie stammelte vor sich hin und sah ängstlich mit ihren Augen um sich. Ein schwerer Nervenschock hatte sie völlig verwirrt.
Eine bleierne Ruhe lag über dem ganzen Zellenblock. Sogar Helga Pilkowski schwieg. Die Frauen standen an den Türen und lauschten.
Was würde jetzt kommen? Schärfere Bewachung? Keine Gartenarbeit mehr? Zellenhaft ohne Arbeit in den Gemeinschaftssälen? Tag und Nacht Kontrollen?
Die Frauen legten vergeblich die Ohren an die dicken, eisenbeschlagenen Türen. Nichts regte sich im Block III. Die Ausbrecher wurden von der Hauptwache gleich in die Kellerzellen geführt. Nur ein Gerücht kroch durch die Flure und von Zelle zu Zelle, und wurde von Wand zu Wand zugerufen. Niemand wußte, woher es kam, und keiner wußte, ob es wahr sei …
»Eine ist tot …«
»Wer?«
»Das weiß man noch nicht …«
Einige Frauen gingen zu ihren Betten zurück und bekreuzigten sich. Andere starrten stumm gegen das vergitterte Fenster und auf den kreisenden Schein des immer noch die Mauern abtastenden Scheinwerfers.
Plötzlich erlosch wieder das Licht im ganzen Bau. Auch der Scheinwerfer blendete ab. Die Dunkelheit war drückend und legte sich wie ein Eisenklotz aufs Herz.
Auch im Zuchthauslazarett gellte die Alarmsirene. Erika Werner fuhr von ihrem Bett hoch und warf sich die Kleider über. Nebenan hörte sie die Revieraufseherin fluchen. Erika rannte an das vergitterte Fenster und sah hinaus auf den Hof. Vom Rundturm in der Mitte des Zuchthauskomplexes griff der Scheinwerfer durch die Nacht und kreiste über die Mauern und Dächer. Die Sirene heulte und riß über zweitausend Frauen aus dem Schlaf.
»Ein
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